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Foto: © Dr. Veit Etzold
Im Interview:
Dr. Veit Etzold
Spannende Storys sagen mehr als trockene Fakten, gerade bei Business-Themen. Veit Etzold gibt in seinem Business- und Karriere-Fachbuch eine Schritt-für-Schritt-Anleitung, wie man als Manager Storytelling einsetzen kann, um Unternehmen und sich selbst erfolgreich zu vermarkten. Mit Fallstudien und praktischem Teil. |
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spannend/langweilig: Storytelling im Netz
Herr Dr. Etzold, wenn man heute über Storytelling spricht, hört sich das immer nach perfekter Planung an, aber werden die meisten Stories nicht ungewollt erzählt?
Ja, das stimmt. Storytelling passiert ungeplant viel häufiger als geplant. Ich versuche meinen Kunden immer zu sagen, dass es nicht möglich ist, keine Story zu erzählen. Wenn man keine Story erzählt, sucht sich der Kunde eine aus.
Sie sagen, Jesus Christus war einer der größten Storyteller aller Zeiten. Ziehen seine Stories noch? Oder anders gefragt: Wie würde Jesus Christus seine Stories heute erzählen?
Wer bin ich, um mir anzumaßen zu wissen, wie Jesus Christus heute seine Stories erzählen würde. Ich glaube aber, dass er es ähnlich machen würde, allerdings mit anderen Themen.
Die Gleichnisse von Jesus Christus werden ja auch heute noch zitiert und immer wieder genannt. Trotz der Tatsache, dass wir beispielsweise die Auferstehung nicht beweisen können, ist durch die Stories von Jesus Christus ein Kulturgut entstanden, weil diese Stories, also die Gleichnisse, so stark sind. Sie sind verständlich erzählt, und es fällt leicht, sich damit zu identifizieren. Da kann sich jede Führungskraft eine Scheibe von abschneiden, gerade wie man Leute begeistern und mitreißen kann.
Sie sagen, beim geplanten Storytelling komme es darauf an, Themen zu besetzen. Haben Sie ein Beispiel für uns?
Nehmen Sie Jack Welch von General Electric. Er ist einmal im Jahr nach Südafrika gereist und hat anschließend Geschichten über sein Unternehmen und seine Erfahrungen in Südafrika erzählt. So kam es dazu, dass die Leute dachten, GE sei in Südafrika besonders aktiv und erfolgreich. Die Wahrheit ist: Siemens betreibt dort einen viel größeren Aufwand und ist wesentlich erfolgreicher. Das Beispiel zeigt, dass eine Story immer das ist, was hängen bleibt.
Sie sprachen mal von Jesus als Vertriebsvorstand der Kirche. Wie meinen Sie das?
Jesus hat gesagt: „Lasst uns Menschenfischer sein.“ Das bedeutet, Leute zu gewinnen und zu begeistern. Die meisten guten Vertriebsleute sind auch gute Geschichtenerzähler. Jeder, der eine gute Geschichte beim Kunden erzählen kann, wird eher verstanden und kann auch eher etwas verkaufen. Verkaufen, Geschichten erzählen, wachsen und expandieren gehören zusammen.
Aber geht es nicht um mehr als nur gute Geschichten?
Ja, natürlich. Man muss den Menschen Sinn vermitteln. Dort muss die Kirche einsteigen und Antworten liefern. Das passiert allerdings nicht zu wenig. Kardinal Reinhard Marx hat mal über Engel gesprochen und wurde dafür ausgelacht, weil man heute nicht mehr über solche Dinge wie Engel sprechen würde. Gleichzeitig sind bei Ikea Glasengel, die man sich zu Hause hinstellen kann, der große Verkaufsschlager. Darauf hätte er nur hinweisen müssen, und die Lacher wären verstummt.
Sinn vermitteln wollen viele, oder?
Die Suche nach einem Sinn ist die zentrale Frage, auf die die Kirche antworten muss. Die Themen sind alle da, die Kirche muss nur deutlich machen, dass sie seit 2000 Jahren Lösungen anbietet. Ja, natürlich steht die Kirche im Wettbewerb mit Unternehmen und anderen Organisationen. Nehmen Sie den Esoterik-Markt, es wimmelt nur so von Büchern, die versuchen, die Frage nach einem sinnvollen Leben zu beantworten. Oder nehmen Sie Fußballvereine und Nonprofit-Organisationen, alle wollen Sinn vermitteln. Gegenüber diesen Wettbewerbern muss sich Kirche klar positionieren.
Was allerdings passiert, ist vielmehr eine Angleichung. So spricht der Papst zum Beispiel über Klimawandel, die Informationen dazu muss er sich aber von Experten von außen holen. Der Klimawandel wird so zur neuen Offenbarung des Johannes. Der Kirche gelingt es nicht, eigene Themen über andere Themen in der Welt zu stellen. Man darf nicht nur Themen anderer Institutionen nennen und wiederholen, dann kann der Kunde genauso gut das Original „kaufen“. Die Kirche hat es an dieser Stelle nicht nötig, sich anzupassen. Das Copyright für Untergangstheorien liegt in ihrer Hand, die Kirche ist also in diesem Fall das Original, was sie aber nicht verdeutlicht.
Storytelling ist kein Werkzeug, um Menschen zu manipulieren, sagen Sie? Was ist es dann?
Es ist ein Werkzeug, um Fakten besser an die Frau oder den Mann zu bringen. Es geht nicht darum, falsche Fakten so zu manipulieren, dass sie durch eine gute Story richtig oder anders aussehen, sodass jeder sie glaubt. In diesem Fall wäre eben die Rede von Manipulation. Nein, es geht darum, Fakten gut verständlich zu machen. Es passiert zu oft, dass wichtige Fakten zu langweilig rübergebracht werden. Das macht es schwierig, aufmerksam zu bleiben. Dadurch gehen Dinge verloren. Wer gute und wichtige Fakten hat, die anderen Menschen helfen können, muss (!) dazu eine gute Story liefern, damit die Fakten auch ankommen. Sonst ist das fast unterlassene Hilfeleistung.
Wer sind gute Storyteller in der Wirtschaft?
Viele gute Storyteller tauchen bei inhabergeführten Unternehmen auf. Wenn ein Bohrer-Hersteller wie Herrenknecht immer wieder die Geschichte erzählt, wie der Inhaber sich aus kleinen Verhältnissen hochgearbeitet hat. Also der Mann, der sich trotz Widerstände durchgesetzt, durchgebohrt hat, verkauft jetzt Bohrer. Das ist eine gute Story.
Hartmut Esslinger von FROG Design wurde als Kind schlecht behandelt. Er hat sich überlegt, zurückzuschlagen oder sich in Traumwelten zu flüchten. Mit den FROG Design Ideen, die, auch für Apple, Design Geschichte geschrieben haben, hat er Traum und Wirklichkeit kombiniert.
Ein gutes Beispiel ist auch Steve Jobs, der natürlich schon sehr häufig zitiert wurde. Er hat schon in den 80er Jahren eine Geschichte von Gut und Böse erzählt, um zu werben. Das gute und kleine Apple gegen das große und böse Microsoft. Mittlerweile hat Apple Microsoft was den Börsenwert angeht deutlich überholt. Die Geschichte wird aber konsequent weiter erzählt. Der kleine Underdog Apple, der gegen die Großen kämpft. Hier sieht man, dass sich Stories zum Teil von Fakten lösen.
Es gibt besonders in der digitalen Welt eine unendliche Fülle an Informationen. Wie kann es da gelingen, sich durch eine Story abzusetzen?
Die Frage ist immer, was man im Netz machen und wie man gefunden werden will? Nehmen Sie zum Beispiel eine Webseite. Die kann einen Kunden an die Hand nehmen und auf ein Problem aufmerksam machen. Das sollte sie aber nur machen, wenn sie dort auch die Lösung liefert. Dann bekäme der Kunde alles gezeigt. Zum Einen ein Problem, in dem er sich und seine Situation wiedererkennt, und zum Anderen auch direkt eine Lösung, inklusive einer Anweisung, was er jetzt zu tun hat. Dadurch entstehen größere Klickraten und längere Anwesenheitszeiten auf dieser Webseite. Die Webseite muss bereits die erste Customer Journey liefern. Und die ist meist nichts anderes als eine klassische Heldenreise. Held bricht auf, sieht Gefahren, überwindet die Gefahren und hat ein Happy End. In diesem Fall hilft das Unternehmen dem Helden (also Kunden), die Gefahren zu überwinden. Und zwar besser als der Wettbewerb.
Haben Sie schon für die Kirche als Storyteller gearbeitet?
Ich habe mal Vorträge zu diesem Thema an einer Institution des Opus Dei gehalten, weil ich einen Priester von Opus Dei sehr gut kenne. Außerdem habe ich fürs Vatikan-Magazin über den Apostel Paulus geschrieben, und was man von ihm heute noch lernen kann über nachhaltigen Verkauf. Meine Erfahrung ist aber, dass die offizielle Amtskirche oder wie man sie nennen möchte, jedenfalls in Deutschland, extrem beratungsresistent ist.
Sie sagen, die katholische Kirche sei der bessere Prügelknabe für Medien und Öffentlichkeit, weil die evangelische Kirche so unscharf positioniert ist, dass sie keiner mehr erkennt. Wie könnte sich die evangelische Kirche wieder schärfer positionieren und wie sähe ihr Storytelling aus?
Das ist, glaube ich, insofern schwierig, weil die evangelische Kirche alles weggenommen hat, was interessant ist und das ja auch genau so will. Vielleicht ist es sogar ein hoffnungsloser Fall. Wenn sie sich Filme anschauen wie zum Beispiel „Der Pate“, dann ist das ja ein Werbefilm für die katholische Kirche, durch die vielen Rituale, die vorkommen. In solchen Filmen werden immer die Dinge dargestellt und spannend gemacht, die die evangelische Kirche gestrichen hat. Wenn ich die Frage stelle, was interessant ist in der Kirche, oder auch in der Messe, dann sagen die meisten gestandenen Katholiken und Priester, dass es die Liturgie ist, das ganze Drumherum und natürlich die Eucharistie, die Erfahrung des Leib Christi und seine Aufnahme ist.
Wenn man daran glaubt, dann ist das wohl das größte Event, was auf unserer Welt möglich ist. Dieser Moment fehlt in der evangelischen Kirche komplett, weil die Eucharistie so nicht gefeiert wird. Bei einer Institution, die sich absichtlich aller spannender Dinge entledigt, habe ich wenig Hoffnung, dass sich diese wieder klar positionieren kann.
Ist Storytelling ein Modebegriff oder steckt mehr dahinter?
Der Begriff ist vielleicht neu, aber das, was getan wird, ist nichts Neues. Storytelling ist, glaube ich, die älteste Kulturtechnik des Menschen. Diejenigen, die Geschichten erzählen konnten, kamen schon immer gut an. Jedoch ist die Masse an Möglichkeiten so groß geworden, dass man sich Gedanken machen muss, wie man gehört wird. Diesen Vorgang nennt man jetzt Storytelling.
Was denken Sie: Fördern neue Formate wie youtube, snapchat, facebook usw. Erzähltalent oder wird es uniformiert?
Das hängt immer von den Leuten ab, die dort aktiv sind. Es werden immer die Sachen am meisten geklickt, die eine Geschichte erzählen. Somit machen diese Plattformen die Wirksamkeit von Stories messbarer. Allerdings ist die Toleranz, Inhalte aufzunehmen, durch die Masse an Informationen und Möglichkeiten viel geringer geworden. Das kann der Qualität helfen. Was langweilig ist, fliegt gnadenlos raus. Das war früher nicht so kontrollierbar. Es gibt aber auch Unternehmen, die meinen, sie könnten irgendwas bei Facebook posten, und es wäre automatisch Storytelling. Das trifft so nicht zu. Jede Story muss eine Situation beschreiben, die einen Ausgangspunkt, ein Desaster, einen Wendepunkt und ein Happy End aufweist.
Müssen die Erzähltalente von morgen ausgebildet werden? Sollte es mehr Schulen geben, die Storytelling unterrichten?
Das würde ich schon sagen. Es gibt Techniken, die man erlernen kann. Darüber hinaus muss man für gewisse Formen wie Roman oder Thriller auch Talent und Kreativität mitbringen. Aber wie man kurze Geschichten schreibt, wie man sie aufbaut: Das kann man lernen. Also: Storytelling ist auf der einen Seite Handwerk; will man aber aufwändige Texte wie Thriller oder Romane schreiben, braucht es mehr als nur dieses Handwerk.
Reicht nicht ein gutes „Produkt“, um erfolgreich zu sein?
Selbst wenn ich ein gutes Produkt habe, benötige ich trotzdem eine gute Story, um es gut verkaufen und im Markt durchsetzen zu können. So schütze ich mein Produkt auch vor dem Wettbewerb, der vielleicht ein schwächeres Produkt hat, dieses aber mit einer guten Stories bewirbt. Und falsche Fakten mit guter Story werden leider mehr gehört als gute Fakten mit schlechter Story.
Woran erkennen Sie gutes Storytelling?
Eine gute Geschichte beschreibt Charaktere. Viele machen den Fehler und reden über „unser Team“ oder „unsere Firma“. Je konkreter die Erzähler aber werden, ohne ausschweifend zu werden, desto besser ist die Story. Je mehr Helden und dramatische Konflikte auftreten, desto besser die Story.
Humor ist auch sehr wichtig. Die größte Kunst des Storytellings ist es, die Leute an der Stelle lachen zu lassen, an der sie auch wirklich lachen sollen. Daran erkennt man, ob jemand Storytelling verstanden hat. Gute Storyteller gehen ins Detail, ohne die Story zu überfrachten und finden Alleinstellungsmerkmale.
Sind moderne erfolgreiche Stories wie Herr der Ringe, Matrix, oder Avatar deswegen so gut, weil sie dasselbe Material verarbeiten wie die Bibel: Heldenreise, Gut gegen Böse, Erlösung, verschiedene Wirklichkeitsebenen, Schuld und Sünde?
Ja, auf jeden Fall. Es tauchen immer wieder Gut und Böse auf; der Kleine, der groß wird, und Rettungstaten auf sich nimmt. Auch in der Mythologie sind diese Dinge immer wieder zu finden. Es gibt sicher eine Art Story Code, der in fast allen Geschichten in irgendeiner abgewandelten Form zu finden ist. Heils- und Erlösungsgeschichten sind das, was der Mensch einfach hören will. Interessant ist dabei, dass es jeder Andere zu schaffen scheint, mit Erlösungsgeschichten erfolgreich zu sein, außer der Erfinder der Erlösungsgeschichte selbst. Nämlich die Kirche.
Sind Sie Mitglied einer Kirche?
Ja, ich bin in der katholischen Kirche, auch wenn ich im Moment von einigen Dingen und Entwicklungen alles andere als begeistert bin.
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