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Titelstory von:
Dr. Stephanie von Luttitz

Foto: © Dr. Stephanie von Luttiz

Die Kommunikationsprobleme zwischen Kirche und Öffentlichkeit sind oft beklagt, aber selten analysiert worden. Können Journalisten und Medien den Besonderheiten der Religion gerecht werden? Die Autorin hat mittels einer Inhaltsanalyse österreichischer und deutscher Tageszeitungen sowie einer Expertenbefragung von Journalisten und Pressesprechern den Diskurs zwischen Kirche und Medien untersucht. Dabei werden sowohl Kommunikationsbarrieren auf kirchlicher Seite als auch Vermittlungsdefizite im Journalismus deutlich. Die Studie gibt viele Impulse für eine Verbesserung der Diskursqualität und der Verständigung.

Das Buch finden Sie unter folgendem Link

www.lit-verlag.de/isbn/3-643-13538-4

 

 
   

 

Dr. Stephanie von Luttitz, geb. 1986 in München, studierte Publizistik- und Kommunikationswissenschaft sowie im Nebenfach Moraltheologie und Politikwissenschaft an der Universität Wien. Forschungsschwerpunkte waren die verständigungsorientierte Kommunikation und die Qualitätsdebatte im Journalismus.
Ihre Ergebnisse fasst sie in dem Buch „Kirchliche Analphabeten“ zusammen, das in diesem Jahr im LIT-Verlag erscheinen wird. Sie ist BDKJ-Diözesanvorsitzende in München und Freising und vertritt die Interessen von 66.000 Jugendlichen in Kirche, Staat und Gesellschaft. Zudem ist sie Vorstandsmitglied des Diözesanrates.

Vorträge von Dr. Stephanie von Luttitz im Jahr 2016:
• Wiener „Fernsehforschung – aktuell“ (4. Tagung 2016): Medienkonstruktion des Religiösen. Das Bild der katholischen Kirche in der deutschen und österreichischen Presse.
 
• Verband Katholischer Publizistinnen und Publizisten Österreichs (26. April 2016): Die Kommunikation zwischen den Medien und der Kirche. Unterschiede zwischen Deutschland und Österreich. Wien.

 
   

 

 

 

 

 

 

wissen/nicht wissen: Der mediale kirchliche Analphabetismus

Kirche und Medien haben eine Gemeinsamkeit: Sie leiden beide unter einer Glaubwürdigkeitskrise. Während die katholische Kirche dieses Problem seit geraumer Zeit kennt, ist es für die Medien relativ neu. Galten sie lange Zeit als Diskursanwälte, die die Bevölkerung mit relevanten Informationen versorgen müssen, um damit die Demokratie sicherzustellen, wandelt sich diese Vorstellung – unter anderem durch den Einfluss der sozialen Netzwerke. Hier kann sich jeder Teilnehmer am öffentlichen Diskurs beteiligen. In einer Zeit, in der Informationen jederzeit online abrufbar sind, gibt man sich nicht mit "Halbwissen" zufrieden. In diesem Zusammenhang entstehen auch neue Diskussionen über die Auskunftsfähigkeit der Medien bei religiösen Themen.

Muss sich Journalismus spezialisieren?

Der ansteigende Zeitdruck, unter dem recherchiert werden muss, ist enorm. Journalisten können nicht "allwissend" sein und müssen sich auch in Themen einarbeiten. Was bedeutet das für deren Arbeitsweise? Neue Fragen entstehen wie: Sind Journalisten in der Lage, den Besonderheiten der Religion gerecht zu werden? Inwieweit kommen Journalisten ihrer Funktion als Diskursanwälte nach, um Verständigung zwischen Religionen und der säkularen Gesellschaft herzustellen?
Allgemein heißt es, dass zum Thema Religion jeder etwas sagen kann – im Zweifel zur kirchlichen Sexual- und Morallehre oder, durch die Aussagen von Papst Franziskus wieder aktuell, zum Frauenpriestertum.

Auch wenn die religiöse Kommunikation in säkularen Medien ein weithin in der Publizistik vernachlässigtes Gebiet ist, beziehen einige Kommunikationswissenschaftler deutlich Stellung: Sie fordern eine Spezialisierung des Journalismus bei religiösen Themen. Bei derartigen Forderungen stellt sich die Frage, wie der Status quo der religiösen Mediendarstellung ist. Daher möchte ich an dieser Stelle einen Einblick in die Ergebnisse meiner Forschungen zum Thema "Katholische Kirche" geben.

Im Zeitraum 01.09.2012 bis 01.03.2014 wurden 1 689 Zeitungsartikel (FAZ, SZ, taz, Bild, Standard, Krone, Kurier, Presse) analysiert und Experten aus den Medien und der Kirche befragt. Ziel der Untersuchung war, die Diskursqualität in den Medien bei kirchlichen Themen zu analysieren und mögliche Unterschiede zwischen Deutschland und Österreich festzumachen. Dieser Vergleich ist relevant, weil Deutschland mehr vom Protestantismus geprägt ist als Österreich. Im Jahr 2013 besitzt Deutschland zu je ca. 30% Protestanten und Katholiken. Österreich vereinigt 62% Katholiken und 4% Protestanten.
Die Diskursqualität (und damit die Verständigungsleistung) steigt, wenn Akteure ihre Positionen gegenüber der Kirche begründen, Lösungsvorschläge bei strittigen Themen geben, respektvoll miteinander umgehen und Zweifel artikulieren. Damit schließt diese Art der Diskursberechnung an Jürgen Habermas' Verständigungsbegriff aus seiner Theorie des kommunikativen Handelns an.

Status quo der Mediendarstellung

Sakrale vs. Profane Kirche

Die Ergebnisse zeigen, dass vor allem ein problemzentrierter und respektvoller Diskurs die Medien prägt. Themen, die eine hohe Verständigungsleistung aufweisen, sind Diskussionen um die kirchliche Lehre und Skandale. Hier zeigt sich ein stärkerer Handlungsdruck der Medien gegenüber der Kirche. Der eigentliche Wesenskern der Kirche – die Spiritualität – dient den Medien nicht zur Verständigungsorientierung. Die befragten Journalisten und PR-Sprecher betonen ebenfalls die Schwierigkeit, Spiritualität überhaupt zu vermitteln, da die persönliche Erfahrung mit dem Göttlichen schwer zu erklären sei. Dennoch zeigt sich durch die Häufigkeit, dass "spirituelle" Themen mit einem Anteil von 13% die Berichterstattung prägen. Das zeigt, dass der Diskurs profaner bzw. säkularer ausgerichtet ist, um Verständigung zu erreichen. Die Erkenntnis, dass das Spirituelle nicht diskursiv behandelt wird, wirft neue Fragen im Bezug auf die Stellung der Kirche innerhalb einer modernen Gesellschaft auf. Die Schwäche liegt darin, dass das Sakrale nicht ins Säkulare übersetzt werden kann. Die Kirche benutzt ein "anderes Alphabet". Das ist die große Herausforderung der Zeit: Die Kirche muss es schaffen, wieder ihren spirituellen Wesenskern in den Mittelpunkt zu stellen, nicht die immer wieder aufs neue thematisierten Punkte wie Homosexualität oder Zölibat.

Gute Kirche vs. Böse Kirche

Die kirchenbezogene Einstellung ist in der Berichterstattung meistens neutral. Erstaunlich mag erscheinen, dass wenn eine Wertung erfolgt, diese vorwiegend positiv ist. Es zeigt sich auch keine positivere Berichterstattung unter Papst Franziskus im Vergleich zu Papst Benedikt XVI. Die Medien betreiben also kein viel zitiertes "Kirchen-Bashing". Eine wichtige Abgrenzung muss jedoch gezogen werden: Je mehr diskutiert wird, desto negativer wird gleichzeitig die kirchenbezogene Einstellung. Das bedeutet, je spezifischer Positionen begründet werden, je mehr Lösungsvorschläge gegeben und Zweifel geäußert werden, desto negativer wird die Einstellung.
Es zeigen sich also zwei Ebenen, mit der über die Kirche berichtet wird. Basierend auf den Mittelwerten, also "oberflächlich", versuchen die Medien, das Positive der Kirche zu sehen. Wenn jedoch kritische Themen in den Fokus rücken, wird der Diskurs aktiviert und die Einstellung wird negativ. Bei der diskursiven Dynamik in der Gesellschaft bekommt Kirche folglich einen "negativen Drall". Zudem zeigt sich, dass die Qualitätszeitungen mehr Handlungsdruck gegenüber der Kirche aufbauen und zudem den Diskurs mehr "anfeuern" als die Boulevardpresse. Der Standard in Österreich und die taz in Deutschland sind die Zeitungen, die am meisten auf Verständigung beim Thema Kirche setzen.

Deutschland vs. Österreich

Generell zeigen sich wenige länderspezifische Unterschiede in der Berichterstattung. Dies ist zum einen darauf zurückzuführen, dass Kirche auch ein internationales Thema ist und zum anderen ist zwischen der Papst und der Volkskirche zu differenzieren. Themen rund um die Papstkirche zeigen keine Unterschiede auf. Differenzen ergeben sich erst auf Länderebene. Von der Ökumene kann auf Deutschland geschlossen werden. Hier zeigt sich eine Sonderstellung Deutschlands bezogen auf die Folgen der Reformation, indem die Ökumene medienpräsenter ist. Von dem Priestermangel, Zölibat, Reformen der Kirche oder der Protestkultur kann auf Österreich geschlossen werden. Zeigt sich hier der Beginn einer österreichischen Reformation? Oder handelt es sich um die Folgen der österreichischen, als unglücklich angesehenen, (Erz-)Bischofsernennungen aus der Zeit Johannes Paul II.? Medienpräsenter sind auch die "spirituellen" Themen wie Glaubensvermittlung, Christentum, Jesus und Gott. In Österreich sind die Reformgruppen und die Spiritualität die Themen.

Beachtlich ist auch, dass von einem interreligiösen oder multikulturellen Diskurs keine Rede sein kann. Hauptkommunikatoren sind in beiden Ländern die Journalisten selbst und kirchliche Vertreter. Laien, Politiker oder andere gesellschaftliche Akteure kommen nicht zu Wort – Frauen erst recht nicht. Positionen aus anderen Ländern werden nicht in den Diskurs einbezogen, obwohl diese bei einem internationalen Thema wie Kirche in Zeiten der Globalisierung wichtig wären, denn Fragen der kirchlichen Lehre stellen sich in Europa anders als in Afrika oder Asien.

Kirchliche Analphabeten?!

Ist es nicht ein wenig übertrieben, Journalisten als "kirchliche Analphabeten" zu bezeichnen? Erstaunlicherweise ist dieser Ausdruck während der Expertenbefragungen mit Journalisten und kirchlichen PR-Sprechern des Öfteren gefallen: Journalisten, die als Experten in den jeweiligen säkularen Medien arbeiten, sind der Meinung, dass ihre Kollegen wenig bis keine Ahnung von Kirche haben. Gleiches gälte auch für kirchliche Vertreter: Sie können nicht zeitgemäß kommunizieren und sich nicht verständlich ausdrücken. Fazit der Befragten: Weder Journalisten noch kirchliche Vertreter sind in der Lage über religiöse, kirchliche Belange so zu kommunizieren, dass die moderne säkulare Gesellschaft es versteht.

Journalisten beklagen zudem Verständnisprobleme aufgrund einer veralteten Sprache der Kirche und äußern inhaltliche Zweifel gegenüber der kirchlichen Lehre. Den Journalisten zufolge, würde in der Bevölkerung eine Gleichgültigkeit gegenüber den Dogmen bestehen. Zudem dürfe sich die kirchliche Argumentationsstruktur nicht auf ein sündhaftes Verhalten der Menschen versteifen.
Auf kirchlicher Seite herrscht noch immer eine Medienangst, die aus einem Missverstehen von Journalismus und dessen Arbeitsweise resultiert. Hier zeigt sich bereits eine Diskursresignation bei der kirchlichen Lehre – besonders in Deutschland.


Erstaunlich bleibt: Kirche und Journalisten nehmen einen medialen kirchlichen Analphabetismus wahr – ein Bankrott für eine verständigungsorientierte Kommunikation, aber zugleich durch diese Erkenntnis auch eine Chance für eine gegenseitige Annäherung und somit neue Diskursstrukturen.

Wie kann Verständigung in modernen Demokratien entstehen?

Bereits der sich als religiös unmusikalisch bezeichnende Jürgen Habermas fordert im Jahr 2005, dass sich die Kirche aktiv am öffentlichen Diskurs beteiligen muss, so wie alle Bürger. Das ist das Grundprinzip des deliberativen Demokratieverständnisses: Alle sollen die Möglichkeit haben, sich jederzeit untereinander auszutauschen. Kirche und Medien müssen den Dialog zulassen – zu jedem Thema. Nur so kann ein Mindestmaß an Verständigung zwischen Gläubigen, Nicht- und Andersgläubigen aufrechterhalten werden bzw. erst entstehen.

Wenn Journalisten also ihrer Funktion als Diskursanwälte nachkommen wollen, tragen sie eine Verantwortung für die Gesellschaft. Das Wort Verantwortung suggeriert bereits, dass Antworten auf Fragen und Lösungen gegeben werden müssen. In einer deliberativen Demokratie, in der sich jeder am Diskurs beteiligen soll, könnte die Antwort lauten, dass die drei Parteien Politik, Medien und Kirche zwar getrennt voneinander fungieren, aber untereinander kommunizieren, um sich zu unterstützen. Dabei haben die Medien die Pflicht, die Kirche und die Politik auf negative Entwicklungen in der Gesellschaft aufmerksam zu machen. Die Kirche kann wiederum den Staat in komplexen Themen, wie etwa der Abtreibungsdebatte, moralischargumentativ beraten. Zudem besteht für die Kirche durch den Handlungsdruck der Medien und der Gesellschaft eine Chance der Revitalisierung. In Verbindung mit der säkularen Diskursweise kann sie ihre eigene Diskursstruktur ändern. Papst Franziskus formuliert es mit den Worten "Macht Wirbel" und spricht sich gegen einen Klerikalismus aus. Zusammenfassend bedingen sich also Politik, Medien und Kirche gegenseitig in ihrer Verantwortlichkeit für die Gesellschaft.

 

nach obeN

     
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