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raus/rein: Wie Kirche Mitgliederbindung und Kampagnen für den Wiedereintritt betreiben kann
Herr Broch, Sie haben mit PRAGMA zusammengearbeitet und die Erwartungsstudie deutscher Katholiken erstellt.
Welche Erkenntnisse haben Sie gewonnen zu den Prozessen rund um die Mitgliederbindung bei Kirche?
Aktuelle Ereignisse wie etwa das Öffentlichwerden des sexuellen Missbrauchs im kirchlichen Bereich, das Angebot der Rehabilitierung an die Bischöfe der fundamentalistischen Pius-Bruderschaft oder auch steuerrechtliche Änderungen und deren Auswirkungen auf die Kirchensteuerpraxis oder schließlich auch die Vorgänge um den Limburger Bischof Tebartz van Elst – solche Vorgänge waren zwar herausragende Auslöser dafür, dass Menschen der katholischen Kirche den Rücken zugewandt haben. Sie haben natürlich auf unterschiedliche Weise einen schweren Glaubwürdigkeitsschaden angerichtet. Aber die Gründe dafür liegen grundsätzlicher und tiefer. Das war allen aufmerksamen und selbstkritischen Beobachtern in der Kirche rasch klar. Sie müssen damit zu tun haben, dass sich die Kirche sehr schwer damit tut, ihre Botschaft unter den Bedingungen unserer pluralen Gesellschaft den Menschen so zu vermitteln, dass sie von diesen wirklich als Hilfe, als etwas für sie Existenznotwendiges erfahren wird. Das ist übrigens nicht nur ein Problem der katholischen Kirche, sondern auch – mit anderen Nuancen – ein Problem der reformatorischen Kirchen.
Die andere Erkenntnis ist, dass Gottesglaube und Spiritualität für die große Mehrzahl der Menschen einen sehr hohen Stellenwert einnehmen. Bei der Befragung des Instituts PRAGMA zu Motiven von Kirchenbindung oder Kirchenkritik haben die Mitarbeiter zum Teil Telefongespräche von mehr als einer Stunde geführt – und sehr viele der Angerufenen haben sich mit großer Intensität auf diese Gespräche eingelassen.
Was sind Ihren Erkenntnissen nach die top 5 der Faktoren, die eine Mitgliederbindung bei der Kirche sichern?
Von den Menschen, die gesagt haben, sie hätten noch nie ernsthaft an einen Kirchenaustritt gedacht – es waren immerhin über drei Viertel der über 4.000 befragten Personen –, wurde als wichtigstes Motiv der Glaube genannt. Die Kirche ist für sie ein Ort, in dem sie in ihrem Glauben getragen werden. Damit korrespondiert – fast mit gleichem Gewicht – die Tatsache, dass dies seit jeher ihr Leben geprägt hat, auch mit allen Ritualen, und dass sie sich nichts Anderes für sich vorstellen können. An dritter Stelle ist das Stichwort Beheimatung zu nennen; Kirche wird als Gemeinschaft erlebt, was freilich –wenn es gelingen soll – eine hohe Sensibilität für eine dialogische Kommunikation bedeutet. Die Orientierung in Wertefragen durch die Kirche wird hoch bewertet; die wahrnehmbare Präsenz der Kirche in wichtigen gesellschaftlichen und humanitären Fragen – sie wird explizit erwartet. Und schließlich werden in der Kirche überzeugende, authentische Menschen erlebt.
Was sind die top 5 jener Faktoren, die die Kirchenbindung gefährden?
In dem eben Gesagten schwingen natürlich immer Erwartungen mit, die nicht enttäuscht werden dürfen. Wo Menschen sich von der Kirche abwenden, fühlen sie sich häufig gerade in diesen Erwartungen enttäuscht. Gerade die Glaubwürdigkeit der Personen, in denen die Kirche erlebt wird, spielt eine nicht hoch genug zu bewertende Rolle. Dazu kommen – Nr. 2 –leider oft auch kirchliche „Großwetterlagen“, also als negativ erlebte Personen und Ereignisse in der Ferne, die auch das Verhältnis zur Kirche im eigenen Nahraum belasten. Positive Gegenerfahrungen wie etwa Person und Auftreten von Papst Franziskus können dies nur langsam umkehren. Ein großes Problem sehe ich allerdings auch darin, dass bei den großräumigen Organisationsstrukturen – im katholischen Bereich die „Seelsorgeeinheiten“ – die Chancen geringer werden, der Kirche überhaupt in Personen zu begegnen. Der Mangel an personaler Qualität der Seelsorge, das wäre aus meiner Sicht also der dritte wichtige Punkt. Die oft erlebte oder auch nur unterstellte mangelnde Offenheit für das, was Menschen heute bewegt, umtreibt, belastet, für die Pluralität von Lebenswegen und –stilen – sie steht, viertens, dem hochrangig anzusetzenden Verlangen nach Respekt und Toleranz entgegen. Damit hängt – fünftens – auch der Verkündigungs- und Kommunikationsstil zusammen, der oft eher als „verlautbarend“ denn als dialogisch erlebt wird.
Es gibt ja einschlägige Erfahrungen im Gebiet der Abonnentengewinnung und der Kündigerprävention, zB im Zeitschriftengeschäft. Können Sie Erfahrungen aus diesen Gebieten auf die Prozesse der Mitgliedergewinnung und –bindung bei Gemeinden übertragen?
Ich würde das nur sehr bedingt übertragen. Vor allem, weil es bei der Kirche nicht um geschäftliche Interessen geht, während diese bei Wirtschaftsunternehmen legitimerweise im Zentrum stehen. Gemeinsam ist allerdings beiden „Welten“, dass es den Verantwortlichen nicht gleichgültig sein kann, wenn die Mitglieder offen oder leise weggehen. Das heißt, man muss solche Entwicklungen sehr aufmerksam beobachten, den Kontakt suchen bzw. aufrecht erhalten und das Gespräch suchen, auch wenn dies schmerzlich und vor allem zeitaufwändig sein kann. Das ist dann eine Frage des Abwägens von Wichtigem und weniger Wichtigem im Zeitbudget.
An welchen Qualitätskriterien sollte sich Kirche orientieren, wenn es um die Gestaltung der Kundenbindung geht?
Ich will es in ein paar Schlagwort-Gegensatzpaaren versuchen – unvollständig und sicher in der Umsetzung sehr herausfordernd:
- dialogisch – statt verlautbarend und bevormundend
- persönlich nahe – statt formal und administrativ distanziert
- aufgeschlossen – statt ängstlich-defensiv
- offen für die Nöte der Menschen – statt ignorant und selbstbezogen
- an den „Rändern“ interessiert – statt nur auf den „inneren Zirkel“ hin orientiert
- weltkirchlich – statt lokal verengt
- Glaube befreiend – statt Glaube beengend
Was sind die Hauptmotive für den Kirchenaustritt?
Das Hauptmotiv schlechthin lässt sich unter dem Stichwort „Entfremdung“ zusammenfassen: die Kirche hat sich vom Leben vieler Menschen entfremdet; mehr als ein Drittel der Austrittswilligen sagt das. Wenn man die Nennungen „Moral- und Sittenlehre“ und „Ehethemen“ zusammenfasst, so haben wir hier den nächsten großen Block mit mehr als einem Fünftel der Befragten. Es folgen – weit nachrangig – „finanzielle Probleme“ (15 %), „Missbrauch“ (12 %) und „persönliche Erfahrungen“ (11 %). Gerade Letzteres spielt aber sicher auch in die anderen Bereiche herein. Was Menschen letztlich zum Kirchenaustritt bewegt, ist so individuell wie die Menschen und ihr Leben selbst.
Wo sehen Sie generell Änderungsbedarf, wo Potentiale im Umgang mit Bürgern, die aus der Kirche austreten?
Die Praxis ist von Gemeinde zu Gemeinde unterschiedlich. Auf keinen Fall geht es, Austritte stillschweigend zu übergehen und damit vielleicht die letzte, entscheidende Enttäuschung auszulösen. Umgekehrt: Es lohnt sich immer, das Gespräch zu suchen und auf eine persönliche Weise dazu einzuladen.
Wie sollte man auf keinen Fall mit „kündigungswilligen“ Gläubigen kommunizieren?
Auf keinen Fall: mit Vorwürfen, mit argumentierender Verteidigung. Auch nicht so, dass der Eindruck erweckt wird, man wolle die Leute „umdrehen“. Die Kommunikation sollte offen und einladend bleiben, aber mit Respekt vor der Entscheidung eines Menschen.
Wie sollte man auf ehemalige Kirchenmitglieder zugehen, wie mit ihnen kommunizieren? Macht es überhaupt Sinn, auf sie zuzugehen? Oder zerreißt es die Bindungskräfte des jetzigen ‚Kerns‘?
Es macht immer Sinn, auf Menschen zuzugehen und mit ihnen zu reden. Auch mit Menschen, die aus der Kirche ausgetreten sind, sollte man offen und vorurteilsfrei, auch angstfrei, umgehen – offen auch in dem Sinn, dass sie den „Kirchenleuten“ vielleicht doch Wichtiges zu sagen haben, auch wenn es weh tun mag. Die „Bindungskräfte des jetzigen Kerns“ betrachte ich nicht als Kriterium, sondern sehe eher die Gefahr der selbstgenügsamen Abschottung darin. Die Bibel weist uns den Platz an den „Rändern“ zu, wobei ja immer auch die Frage ist: Was bedeutet „Rand“ und was bedeutet „Mitte“?
Kennen Sie gute Beispiele dafür, dass man Kirchenausgetretene als Ressourcen begreift? Immerhin sind es ja ‚unzufriedene Kunden‘, aus deren Unzufriedenheit man Vieles für die eigene Verbesserung lernen könnte.
Ja, wie gesagt: Kirchenausgetretene (welch bürokratisches Wort …) können uns Wichtiges und Erhellendes sagen, wenn wir nur offen sind zuzuhören. Ich kenne gute Seelsorgerinnen und Seelsorger, die die dies tun und dafür auch geschätzt werden, obwohl – oder gerade weil – sie nicht auf „Erfolge“ schauen und auch deshalb, weil sie ihre Gesprächspartner als Person und eben nicht als „Ressource“ wahrnehmen.
Wie sollten Gemeinden auftreten, wenn Mitgliederschwund droht?
Der Mitgliederschwund ist ein Problem, das nicht nur auf die Situation einer einzelnen Gemeinde bezogen ist. Viele Austrittswillige fühlen sich ja gerade nicht mehr einer Gemeinde zugehörig und ins Gemeindeleben einbezogen. Warum auch immer. Andererseits: der Verweis auf das „große Ganze“ kann auch zur Ausrede werden, die Dinge resigniert treiben zu lassen. Ich denke, jede Gemeinde – nicht nur der Pfarrer, aber dieser möglicherweise als Initiator – hat die Aufgabe, sich auf unterschiedlichen Wegen immer wieder zu fragen: Sind wir noch eine einladende, Heimat gebende Gemeinde? Wie können wir es bleiben oder werden? Haben wir die „Ränder“ ausreichend im Blick und was bedeuten sie für uns? Wer gehört bei uns zu den „Rändern“? Beziehen wir auch Menschen in die Verantwortung ein, die nicht zum „inneren Kern“ gehören? Welchen Platz haben Jugendliche bei uns? Suchen wir den Dialog über die Gemeindegrenzen hinaus – in der Ökumene, in der Kommune? Aber auch: Wie einladend gestalten wir unsere Gottesdienste? Wie sorgsam vorbereitet ist unsere Verkündigung? „Dialogprozesse“ und kritische Reflexionsprozesse dürfen keine singulären Veranstaltungen bleiben, sondern müssen im Gemeindeleben institutionalisiert werden.
Welche Motive sind gegenwärtig dominant für den Neu- bzw. den Wiedereintritt in die Kirchenmitgliedschaft?
Das ist sehr individuell. Oft sind es persönliche Erfahrungen und Herausforderungen – etwa im Zusammenhang mit der Erziehung der Kinder oder auch in der Konfrontation mit Krankheiten, Sterben, Tod. Oft sind es auch spirituelle Erfahrungen, die nicht objektiviert werden können. Manchmal bringen auch überzeugende Begegnungen mit überzeugenden Vertretern der Kirche Menschen zum Nachdenken…
Kennen Sie empfehlenswerte Medien-Kampagnen, die für den Neu- oder Wiedereintritt werben?
Ich kenne die verschiedenen Online-Kampagnen sowohl in der evangelischen als auch in der katholischen Kirche. Ich will sie nicht im Einzelnen bewerten oder vergleichen. Nur so viel: Nur wer sich ohnehin mit dem Gedanken trägt, wieder einen Weg zur Kirche zu suchen, wird ein entsprechendes Portal aufsuchen. Gesetzt den Fall, ich wäre dieser Jemand: Ich wollte dann vor allem wissen, an wen ich mich wenden kann für ein persönliches Gespräch, von dem ich dann meine weiteren Schritte abhängig machen würde. Kein medialer Auftritt als solcher könnte mich dazu bewegen, (wieder) in die Kirche einzutreten. Und ich wollte mir wahrscheinlich auch Informationen beschaffen darüber, was ich tun muss, was ich zu erwarten habe, wie das geht. „Kirchensprech“ in solchen Internetauftritten würde mich wohl eher abhalten als motivieren, ebenso Anmutungen aus dem Begriffsfeld des „Missionarischen“…
Wie sollte eine Gemeinde mit dem Wiedereintritt eines Gläubigen umgehen? Muss er besonders „verwöhnt“ werden, um möglichst eng an die Gemeinde gebunden zu werden? Oder braucht gerade er seinen Freiraum?
Ich würde – um die persönliche Sprachebene beizubehalten – keine „besondere Behandlung“ für mich wünschen. Ich wollte weder „verwöhnt“ noch sonst auf irgendeine Weise „betreut“ werden. Ich würde mir allerdings wünschen, dass ich in der Gemeinde, bei den Mitchristen, beim Pastoralteam auf eine Form des Miteinander-Umgehens und der Kommunikation treffe, die von Offenheit, von Empathie, von Respekt geprägt ist, die mich als Person ernst nimmt, die mir Verantwortung zutraut.
Wie sollte Kirche mit Feedback umgehen? Wie kann Kirche Feedback einholen? In unserer Nr. 17 kam die Idee auf, nach jedem Gottesdienst Fragebögen auszuteilen oder mit der Gemeinde Wünsche zu diskutieren. Was halten Sie davon?
Die Kirche sollte auf allen Ebenen mit Feedack offen umgehen und es auch aktiv einzuholen versuchen. Fortdauernd. Der „Dialogprozess“ im deutschen Katholizismus darf nicht zur historischen Fußnote werden. Auf Gemeindeebene kann dies durchaus durch Fragebogen, noch besser: durch regelmäßige offene Dialogforen geschehen. Ich würde dies begrüßen.
Welchen Trend beobachten Sie momentan in der kirchlichen Welt: Sind die Gemeinden bereit, einen Umschwung zuzulassen oder ist es eher schwierig, neue Ideen in eine alte Institution zu bringen?
Das ist schwer allgemein zu sagen. In vielen Gemeinden, von vielen Christinnen und Christen wird der Umschwung geradezu herbeigesehnt – mit Erfolg oder auch ohne. Oft auch nicht, da wird der Wandel gefürchtet. Oft sind Gemeinden auch gespalten. Die Frage ist: Worin soll der Umschwung bestehen? Gerade dies zu klären ist die schwierigste und zugleich wichtigste Frage jedes Dialogprozesses innerhalb der Kirche und darüber hinaus in ein nicht kirchliches Gemeinwesen hinein. Umso notwendiger bleibt sie als Daueraufgabe zu bearbeiten.
Braucht Kirche eine Markenstrategie? Muss Kirche allgemein mehr mit Marketingfachleuten zusammenarbeiten?
Wenn man vor Begriffen wie „Marke“ und „Marketing“ in kirchlichen Kreisen keine Berührungsängste hat, würde ich eindeutig sagen: ja. Die Kirche braucht/die Kirchen brauchen auf allen Ebenen Kommunikations- und Positionierungsstrategien, um sich auf dem Markt der Sinnangebote und –anbieter im Interesse ihres ureigensten Angebots, des Evangeliums, vernehmbar zu Wort zu melden. Dazu bedarf es der Zusammenarbeit mit Fachleuten. Allerdings werden die Ziele und die Instrumente des Marketing immer auch vom Inhalt bestimmt. Das heißt: Wie viel auch immer vom Instrumentarium des Wirtschaftsmarketings auf den kirchlichen Bereich übertragbar sein mag, es wird nicht 1:1 gehen. Daher ist es unerlässlich, dass Marketingprofis im kirchlichen Kontext mit modernen Marketingstrategien vertraut sind. Sie müssen aber auch vertraut sein mit den Fragen, um die es hier geht; offen für die wesentlichen Fragen des Lebens und des Glaubens.
Reiner App/Thomas Broch/Martin Messingschlager: Zukunftshorizont Kirche. Was Katholiken von ihrer Kirche erwarten. Eine repräsentative Studie, hrsg. v. d. Diözese Rottenburg-Stuttgart,
Ostfildern (Grünewald-Verlag) 2014,
ISBN 978-3-7867-3012-5, 23 €.
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