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Im Interview:
Kai vom Hoff
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Kai vom Hoff ist Dozent für den Masterstudiengang Wirtschaft an der FH Düsseldorf zu Krisen-PR und Investor Relations. Zudem publiziert er regelmäßig zu Krisenthemen in der Wirtschafts- und Tagespresse. Seit 2005 hält Kai vom Hoff Seminare an der Deutschen Presse Akademie, Berlin zu den Themen „Issues Management“ und „Führungskräfte-Positionierung“.  
   

 

  glaubwürdig/skandalös – Krisenkommunikation als Chance für neue Anfänge.

Interview mit Kai vom Hoff

Die katholische Kirche hat in 2010 für sehr viel Empörung gesorgt: Bischof Mixa, der die Unwahrheit sagt; Holocaust-Leugnungen von Bischöfen; ein schweigender Vatikan, der, wenn er spricht, das ‚Geschwätz der Leute‘ abtut; Priester, die sich an Kindern vergehen und kirchliche Behörden, die das vertuschen. Wie haben Sie diese Empörungsprozesse selbst erlebt?
Ich habe die Berichterstattung natürlich verfolgt. Angesichts der Vielzahl der Ereignisse kann man von einer periodischen Krise sprechen – also eine Kette krisenhafter Ereignisse, die die katholische Kirche in eine schwierige Position gebracht haben. Genau genommen sind es sogar zwei Krisen: eine ist das tatsächliche Ereignis, die andere die kommunikative Situation, die daraus entsteht. Solche Krisen können, wenn Sie nicht aufgearbeitet werden, langfristige Glaubwürdigkeits- und  Vertrauensverluste nach sich ziehen. Es kommt nun darauf an, dies zu verhindern. Insgesamt haben die Vielzahl der Ereignisse und die Kommunikation der Wahrnehmung der katholischen Kirche natürlich geschadet.

Was sind die größten Fehler, die die Kirche in diesem speziellen Fall gemacht hat und die man kommunikativ in einer Krise machen kann?
In Krisen sollte vor allem schnell und offen kommuniziert werden. Es gilt: Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht. Am Ende, das zeigt die Auswertung vieler Krisenverläufe, kommt die Wahrheit doch immer ans Licht. Informationen dürfen nicht geheim gehalten werden, wenn sie zur Klärung der Situation beitragen können. Wer schweigt, über den kursieren oft Gerüchte, die sich in den Köpfen der Menschen festsetzen. Es hat meiner Meinung nach zu lange gedauert, bis die Kirche sich einiger kritischer Themen aktiv angenommen hat. Sie ist zu spät in die Offensive gegangen.

Was sind die wichtigsten Kommunikationsschritte in einem Krisenfall?
Eine Krise tritt aus kommunikationstheoretischer Sicht dann ein, sobald sie öffentlich wahrgenommen wird. Dann geht es darum, schnell die Situation zu erfassen und erste Kommunikationsmaßnahmen einzuleiten. Ein geschultes Krisenteam übernimmt in der Regel die Koordination. Wichtig ist, dass ein Informationsfluss zu Medien, Betroffenen und der Öffentlichkeit aufgebaut und aufrecht erhalten wird. Die Öffentlichkeit hat ein Anrecht, informiert zu sein. Das ist in vielen Organisationen – trotz des existenzbedrohenden Potenzials von Krisen – noch nicht verinnerlicht.
Krisenkommunikation wird immer dann erleichtert, wenn bereits im Vorfeld Krisentrainings und das Simulieren von Krisenszenarien stattgefunden haben. Dies sind Pflichtaufgaben des Managements bzw. der Führung einer Organisation und müssen bereits durchdacht sein, wenn noch keine Anzeichen einer Krise in Sicht sind.

Wie beurteilen Sie danach die Kommunikation der deutschen katholischen Kirche in den o.g. Fällen?
Wenn man sich die Kommunikation zu den Missbrauchsfällen ansieht, kann man eine Vielzahl von Maßnahmen ausmachen. Schon 2002 gab es Leitlinien zu diesem Thema. Diese wurden aber scheinbar nicht konsequent verfolgt. Nachdem die Vielzahl der Fälle zur aktuellen Krise führte, wurde mit dem Trierer Erzbischof Ackermann ein „Besonderer Beauftragter“ benannt, der den Auftrag hat, die Prävention zu stärken. Es gab außerdem Erklärungen diverser Gremien, die sich zu diesem Thema äußerten. Außerdem wurde eine Hotline für Opfer eingerichtet. Das sind Maßnahmen, die dazu geeignet sind, verlorenes Vertrauen wieder herzustellen. Allerdings wurden die emotionalen Komponenten meines Erachtens bislang zu sehr außer Acht gelassen. Ein Umbruch und ein neuer Umgang mit der Thematik oder auch mit anderen kritischen Fragen sind noch nicht spürbar.

In Zeiten von Krisen braucht man Köpfe, die personell die Verantwortung übernehmen und für einen neuen Anfang werben. Wie haben Sie das Führungspersonal der katholischen Kirche in der Krise erlebt?
Der Papst hielt sich in der Debatte in Deutschland zurück. Die deutsche Bischofskonferenz hat zunächst als oberstes Gremium agiert. Die Kirche ist allerdings in diesem Fall nicht anders als ein Unternehmen: wenn es kritisch wird, muss jemand aus der Führungsriege nach vorne und Rede und Antwort stehen. Die katholische Kirche hat schnell erkannt, dass sich eine ihrer Führungspersonen diesem Thema langfristig annehmen muss und Bischof Ackermann zum Sonderbeauftragten ernannt. Das war absolut richtig, denn eine glaubwürdige und charakterstarke Person hat hier bessere Chancen, Emotionen aufzufangen und kann auch einen neuen Umgang mit der Thematik besser verkörpern als ein „abstraktes“ Gremium.

Missbrauch ist ein sehr großes Thema, vor allem in Familien, in Sportvereinen oder Heimen. Was denken Sie: Warum wurde vor allem die katholische Kirche so hart beschuldigt? Was könnte / müsste sie aus dieser ‚bevorzugten‘ Kommunikationsstellung lernen?
Für ihre Anhänger ist die katholische Kirche DIE moralische Instanz und auch außerhalb dieses Kreises wird die katholische Kirche als Werte- und Moralstifter wahrgenommen. Als christliche Glaubensgemeinschaft soll sie Werte (vor)leben und Geborgenheit geben. Die bekannt gewordenen Missbrauchsfälle von Kindern verstoßen massiv gegen diese Werte. Deshalb sind auch die Reaktionen derart heftig ausgefallen.

Sehen Sie einen kommunikativen Glaubwürdigkeits- und einen Vertrauensverlust für die katholische Kirche? Und wenn ja: Wird dieser langfristig sein?
Fest steht, dass die Vorfälle, deren Aufarbeitung und die Frage zukünftiger Prävention die katholische Kirche noch lange beschäftigen werden. Viele Eltern werden Vertretern der Kirche sicherlich mit Skepsis begegnen und mehr Vorsicht walten lassen. Die zunächst zögerliche Aufklärung einiger Fälle wird vielen im Gedächtnis bleiben. Sie ist sicherlich auch mit für die Austrittswelle im Frühjahr verantwortlich.
Eine Wiederherstellung des Vertrauens wird zusätzlich dadurch erschwert, dass auch junge Menschen zunehmend kirchenkritischer werden, wie die diesjährige Shell-Jugendstudie 2010 belegt. So gehört Kirche konfessionsunabhängig zu den Institutionen, denen deutsche Jungendliche am wenigstens vertrauen. Hier ist ein langer Atem gefragt. Das Vertrauen hat gelitten und es wird dauern, bis dieses wieder vollständig hergestellt ist.

Inzwischen gab es öffentliche Steuerung durch die Kirchenverantwortlichen: neue Regelungen in Missbrauchsfällen, Zusammenarbeit mit den Behörden, neue Eignungstests für Mitarbeiter usw. Insgesamt wird der Kirche bescheinigt, wenigstens jetzt die richtigen Schritte eingeleitet zu haben. Denken Sie auch so?
Es sind viele richtige Maßnahmen in die Wege geleitet worden, um das Thema aktiv anzugehen und Probleme zu bewältigen. Wichtig war es vor allem, dass die katholische Kirche sich durch die Deutsche Bischofskonferenz bei den Opfern entschuldigt. Es wird in Zukunft darauf ankommen, dass die katholische Kirche sich offensiver in kritischen Fragen zeigt. Sie muss schneller auf Missstände reagieren und einen sichtbaren Beitrag zur Prävention leisten.

Was würden Sie aus Ihrer Expertise der Kirche zum gegenwärtigen Augenblick raten? Sollte man zum Beispiel eine Imagekampagne starten? Wenn ja: Wie sollte die Ihrer Meinung nach aussehen?
Eine Imagekampagne ist sicherlich der falsche Weg. Einbahnstraßenkommunikation in Form von Plakaten oder Broschüren hilft jetzt nicht viel. Die Menschen wollen wissen, wie es zu den Fällen kommen konnte und was getan wird, um weitere zu verhindern. Dabei geht es um Dialog. Es geht darum, Emotionen aufzufangen und Vertrauen wiederzugewinnen. Das gelingt am besten im Austausch miteinander und lässt sich im konkreten Handeln Beweis führen.

Skandalforscher können aus öffentlichen Empörungsprozessen schon jene Werte ableiten, die für einen kommunikativen Neuanfang der krisengeschüttelten Institution Orientierungspotenzial beinhalten. Welche Werte identifizieren Sie, wenn Sie die Empörung über die Missbrauchsfälle innerhalb der Kirche beobachten?
Gerechtigkeit und Transparenz scheinen mir die Kernwerte in dieser Debatte zu sein. Die Opfer sollen Gerechtigkeit erfahren, indem die Täter zur Verantwortung gezogen werden. Gleichzeitig wird von der katholischen Kirche als Instanz mehr Transparenz erwartet. Dass die Verbrechen jahrelang unentdeckt bleiben konnten und teilweise keine angemessenen Konsequenzen gezogen wurden, ist nicht akzeptabel. Auch in anderen Fragen wird diese Transparenz erwartet werden. Beispielsweise bin ich der Meinung, dass die breite Öffentlichkeit erfahren sollte, wie konkret Mitarbeiter auf ihre Eignung hin getestet werden bzw. welche Kriterien hier relevant sein werden.
Außerdem zahlen Gerechtigkeit und Transparenz in den laut Institut für Zukunftsforschung zentralen Wert der Menschen in Deutschland ein – das Streben nach Gemeinschaft. Allerdings kann Gemeinschaft nur durch Vertrauen entstehen. Mittels einer gerechten Aufarbeitung der Vergangenheit und einem transparenten Vorgehen in der Zukunft kann die katholische Kirche Vertrauen zurückzugewinnen.

Welches Fallbeispiel (evtl. aus Ihrer Praxis?) scheint Ihnen gut geeignet zu sein, um gelungene bzw. misslungene Krisen-PR zu illustrieren?
Unternehmenskrisen sind mit dem Fall der katholischen Kirche nicht direkt vergleichbar. Dennoch: Krisen bergen Chancen. Die meisten Unternehmen haben erst nach der Krise die Bedeutung von Glaubwürdigkeit und Authentizität erkannt. Gerade die Unternehmen, die eine tiefe Krise durchgemacht haben, gehen gut mit den Werten Glaubwürdigkeit und Transparenz um. Insgesamt bedeutet das: mehr Aufmerksamkeit, mehr Reflektion und das regelmäßige Überprüfen der eigenen Maßstäbe. Ich plädiere für eine offene Fehlerkultur.

Wie hat sich eigentlich generell die Kunst der Krisen-PR entwickelt? Gab es große Fälle, an denen man erkannte, wie man es (nicht) macht?
Das klassische Beispiel für Krisenkommunikation ist immer noch Brent Spar. Shell hat in der Auseinandersetzung um Offshore-Anlage mit Greenpeace damals die öffentliche Wirkung unterschätzt. Spätestens seit diesem Vorfall ist vielen Unternehmen und Organisationen klar, dass in Krisensituationen Kommunikation notwendig ist, um Schaden abzuwenden und negative Berichterstattung aufzufangen.

Sehen Sie Unterschiede in der Krisen-PR im Profit- und im Nonprofit-Bereich?
Die gibt es. Die Öffentlichkeit stellt weitaus höhere moralische Erwartungen an Nonprofit-Organisationen. Ethische oder moralische Verstöße in solchen Organisationen enttäuschen deshalb Erwartungen besonders eklatant und verursachen eine größere „Aufregung“. Das bedeutet nicht, dass Unternehmen sich solche Verstöße erlauben können, ohne dass dies Konsequenzen nach sich zieht.

Was sagen Sie zu dem Vorwurf, Krisen-PR sei eine reine Kosmetikveranstaltung, ein ‚Einlullen‘ des Verbrauchers bzw. Bürgers, wenn das Kind schon in den Brunnen gefallen ist?
Das ist leider immer noch ein häufiges Vorurteil, das auch den Krisenmanager des Duisburger Oberbürgermeisters Sauerland zuletzt getroffen hat. Dabei leistet die Krisen-PR einen wichtigen Beitrag für die Öffentlichkeit. Krisenerprobte PR-Berater tragen in schwierigen Situationen dafür Sorge, dass Informationen zeitnah gebündelt, aufbereitet und kommuniziert werden. Sie unterstützen die meist überlastete und unter Umständen weniger krisenerfahrene Pressestelle bei der Beantwortung von Anfragen und halten so den Kommunikationsfluss aufrecht. Darüber hinaus gehört auch die strategische Beratung beim operativen Krisenmanagement zu den Aufgaben eines PR-Beraters. Es geht darum, aufgeregte Diskussionen zu versachlichen und so zu einer sachgerechten Lösung beizutragen. Mit Kosmetik hat das relativ wenig zu tun.
„Einlullen“ lässt sich im Übrigen nur der, der einseitig informiert ist. Das allein ist schon deshalb gar nicht vorstellbar, weil wir durch eine breitgefächerte Medienlandschaft eine Art gesellschaftliches Korrektiv haben, das „PR zu Propagandazwecken“ nahezu unmöglich macht. Nicht zuletzt die Zunahme der investigativen Ressorts der Medien (Welt, Focus) zeigt wie kritisch zweckgebundene PR hinterfragt wird.

Kann man eigentlich aus der Krisen-PR lernen, wie man präventiv gar nicht erst in eine Krise kommt? Oder gehört Krise zu der Entwicklung von Unternehmen und Organisationen einfach dazu?
Krisen sind grundsätzlich nicht vermeidbar, aber man kann sich vorbereiten und in manchen Fällen Entwicklungen aufhalten, bevor es zu einer Krise kommt. Dazu gehört es, kritische Themen zu beobachten, aktiv zu steuern und seine Stakeholder zu kennen. Wichtig ist es, schon vor der Krise vertrauensvolle Beziehungen zu Stakeholdern und Journalisten aufzubauen. Wer glaubwürdig ist, dem schenkt man auch in der Krise mehr Vertrauen. Krisen sind aber auch nicht per se etwas Schlechtes. Selten ist die Bereitschaft so groß, sich mit Problemen auseinander zu setzen und „zu neuen Ufern“ aufzubrechen, wie zu Krisenzeiten. Die Chance, Dinge kritisch zu reflektieren und neue Ansätze zu finden, sollte genutzt werden.

Kommen wir noch einmal zurück auf Kirche: Wie erleben Sie eigentlich generell die öffentliche Kommunikationslinie der katholischen und der evangelischen Kirche in Deutschland?
Die evangelische Kirche hatte in den letzten Jahren aus meiner Sicht einen kommunikativen Vorteil: Mit Margot Käßmann hatte sie eine prominente und sympathische Stimme, die die Institution Kirche als Person gut und glaubwürdig vertreten hat. Der neue Vorsitzende Nikolaus Schneider steht Frau Käßmann da in nichts nach. Eine solche Identifikationsperson fehlt der katholischen Kirche in Deutschland meiner Meinung nach. In der Krise hätte sich so eine  Person an die Spitze der Aufklärung der Missstände setzen und Vertrauen wiedergewinnen können.

Welche Verbesserungen der öffentlichen Wirksamkeit der kirchlichen Kommunikation halten Sie für möglich? Mit welchen Mitteln?
Dialog, Dialog, Dialog. Die katholische Kirche darf sich nicht länger verschließen. Sie muss Diskussionen selbst anstoßen und solche, die an sie herangetragen werden, annehmen. Das bedeutet nicht, dass sie von ihren Prinzipien abrücken muss, wie es im Zuge der Missbrauchsfälle  einige Stimmen verlangten, als sie die Abschaffung des Zölibats forderten. Die katholische Kirche muss ihre Leitlinien nicht ändern aber sie sollte  verständlich kommunizieren, warum sie dies gerade nicht tut.

Drei private Fragen zum Schluss: Glauben Sie an Gott?
ja

Sind Sie in der Kirche?
ja

Welche Funktion hat Kirche für Sie?
Werteschaffer, Orientierungsgeber, Sinnstifter, Helfer in der Not für die, die es am meisten benötigen. Zudem ist Kirche ein Ort, an dem Gemeinschaft gelebt wird. Das ist vor allem für junge und für ältere Menschen enorm wichtig.

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