 |
|
 |
 |
Text: Dr. Orlando
Budelacci, eikones
Bild: Martin Steffen/Adveniat
|
|
|
|
|
|
 |
|
 |
 |
Der Nationale Forschungsschwerpunkt
(NFS) «Bildkritik», «eikones»,
der über 30 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler
unterschiedlicher Disziplinen an der Universität Basel
vereint, verfolgt die Leitfrage, welche Macht und Bedeutung
Bilder haben. Wie Bilder ihren Sinn erzeugen, wurde bisher
nur ungenügend behandelt. Durch die Zusammenarbeit unterschiedlicher
Disziplinen (Philosophie, Kunstgeschichte,
Literaturwissenschaft, Ägyptologie, Informatik, Naturwissenschaften
etc.) an gemeinsamen Frage-stellungen wird in diesem weltweit
einmaligen Forschungszentrum das Bild als universelles Symbolsystem
erforscht.
Der NFS «Bildkritik» verbindet Grundlagenforschung
mit Einzelfallstudien und integriert andere Universitäten,
Fach- hochschulen, Museen und Sammlungen zu einem innovativen
interdisziplinären Forschungszentrum mit inter-nationaler
Ausstrahlung. In ihm untersuchen kreative Grenzgänger
der Disziplinen, was sie denn sind – die Bilder.
|
|
|
|
 |
 |
 |
 |
Dr. Orlando Budelacci war
Assistent und Oberassistent am interdisziplinären Europainstitut
der Universität Basel (bei Prof. Dr. Georg Kreis) und danach
Fakultäts- und Studiengangmanager der Kultur- und Sozialwissenschaftlichen
Fakultät der Universität Luzern. Er ist wissenschaftlicher
Geschäftsführer des Nationalen Forschungsschwerpunktes
eikones „Bildkritik“. |
|
|
|
|
|
Bilder überall
Ein eigener Zugang zur Welt
Bilder
sind omnipräsent. Sie begegnen uns nicht nur in der
Tagespresse, am Fernseher, im Internet, im Warenhauskatalog, im
Kino, auf Überwachungskameras, im Theater und beim Museumsbesuch,
sondern auch in Wissenschaft und Technik. Das digitale Zeitalter
hat eine kaum mehr überblickbare Anzahl an Bildern hervorgebracht,
die in unserem Alltag einen bedeutenden Stellenwert eingenommen
haben.
Bildern wird
eine auratische und teilweise magische Kraft zugeschrieben. Es scheint
unbestritten, dass sie sich besonders dazu eignen, die Aufmerksamkeit
ganz auf sich zu ziehen: Bilder faszinieren und Bilder wirken. Ein
Beispiel aus der Literatur mag dies stellvertretend für andere
verdeutlichen: Dostojewski befasst sich in seinem Roman „Der
Idiot“ nachdenklich mit dem Bildnis des toten Christus, das
im Kunstmuseum Basel hängt und das Dostojewski bei seinem Aufenthalt
in der Schweiz sehr beeindruckt hat. Er lässt den Fürsten
Myschkin im Roman sagen: „Dieses Bild! Vor diesem Bild kann
noch mancher seinen Glauben verlieren.“ Das Beispiel aus dem
Fundus der Literaturgeschichte mag illustrieren, welche bedeutsame
Macht den Bildern zugeschrieben wird. Sie können nicht nur
Glauben stiften, sondern ihn auch nehmen. Sie erfüllen den
Raum mit ihrer gesteigerten Gegenwart; sie beeinflussen, irritieren
und überzeugen.
Das
gilt sowohl für den privaten Kontext des Glaubens,
wie das Beispiel Dostojewskis zeigt, aber auch für weitere
Formen des privaten Bildgebrauchs. Die Fotos unserer Liebsten bewahren
wir sorgsam im Fotoalbum oder neuerdings auf der Festplatte des
Computers auf und manchmal gehen wir so mit ihnen um, als ob die
Fotos die Personen selbst wären. Das bewusste Entfernen eines
Fotos aus der privaten Bildersammlung korrespondiert zumeist mit
einem emotionalen Aufräumen und einer veränderten Rolle,
welche die dargestellte Person im eigenen Leben spielen soll. Bilder
werden hier als Stellvertreter der Personen anerkannt, die auf ihnen
festgehalten sind.
Ein anderes Beispiel
aus dem persönlichen Umfeld: Das freudige Ereignis einer bevorstehenden
Geburt eines Kindes wird erst dann vollumfänglich verstanden,
wenn das ungeborene Kind auf den Ultraschall-Aufnahmen gesehen und
Bekannten und Verwandten gezeigt wird: „Seht her, das ist
das Kind.“ Bildgebende Verfahren in der Naturwissenschaften
machen uns zudem sichtbar, was wir mit eigenen Augen und ohne informationstechnische
Visualisierung nicht sehen könnten: Unsichtbares wird sichtbar.
Oder denken sie etwa an das Hubble-Weltraumteleskop, das höchstempfindliche
Aufnahmen zum Studium der Entwicklung von Galaxien geliefert hat.
Und in der Politik? Im öffentlich-politischen Raum stehen Bilder
unter Manipulationsverdacht und die Geschichte der Politik ist reich
an Versuchen, mittels Ausblendung und Blickverschiebung eine bestimmte
Wirklichkeit herzustellen. Bilder werden politisch gesetzt, damit
sie eine bestimmte Wirkung erzielen.
Nicht nur Kulturpessimisten beklagen
sich, dass wir im digitalen Medienzeitalter in einer immer
wieder rasch konstatierten Bilderflut ertränkt werden und fordern
ein neues Orientierungswissen. Eine Kultur des kritischen Umgangs
mit Bildern ist allerdings noch kaum realisiert. Die suggestive
und verführerische Wirkung der Bilder, die jedem unmittelbar
einleuchtet, bedarf einer Bildkompetenz, die dazu anleitet, ihre
rhetorischen und psychologischen Mechanismen aufzuschlüsseln.
Das Feld der Bildanalyse wurde bisher fast exklusiv den Kunsthistorikerinnen
und Kunsthistorikern überlassen. Ihnen vertrauen wir noch immer,
wenn wir mit Audioguides ausgestattet eine Ausstellung besuchen
und uns über
sprachlich artikulierte Seh-Anweisungen die Augen öffnen lassen.
Das kritische Differenzierungswissen im Umgang mit Bildern ist weit
über den Museumsbesuch hinaus zu einer notwendigen Kompetenz
geworden, denn die digitale Revolution und die globale Live-Verfügbarkeit
von Bildern hat neue Bildermengen erzeugt, die unseren medialen
Alltag prägen. Hierzu drei Beispiele:
1. Die Live-Übertragung
der Bilder von der ersten Mondlandung hat das überwältigende
Ereignis 500 Mio. Zuschauern auf der Welt direkt in die Wohnstube
gebracht und war eines der medialen und technologischen Schlüsselereignisse
des 20. Jahrhunderts, denn die Bilder selbst waren hier das Ereignis.
Das globale Dorf ist der simultane Schauplatz des Spektakels oder
wie es Willibald Sauerländer formuliert hat: „Die neue
Macht der Bilder schwingt zwischen anbetender Isolationshaft und
ortloser Öffentlichkeit“.
2. Jacques Derrida
bemerkte im Hinblick auf die Ereignisse vom 11. September, dass
der Krieg der Bilder und Diskurse immer schneller verläuft
und gleichzeitig Wahrheit immer schneller verstellt und ausgespart
wird. Auf der Ebene der Bilder wurde hier der 11. September zum
„archaischen Theater der Gewalt, das die Imagination treffen
sollte“. Die Symbolkraft des World Trade Centers war auch
deshalb so gross, weil es zugleich ein Angriff auf eine Ikone war,
welche Amerika symbolisierte. Das lokale Ereignis wurde durch die
weltweite Live-Übertragung erst zu einem globalen Medienereignis.
Die Welt sah zu, wie zwei Türme in Manhattan und zugleich ein
amerikanisches Symbol zerstört wurden. Aus der sicheren Distanz
des Zuschauers konnte man das schreckliche Ereignis als ästhetisches
Faszinosum beobachten.
3. Visuelle Inszenierung
von Politik: Wer global-medial über Bilder verfügt, kann
in einer gegebenen Situation die Bilder entsprechend einsetzen.
Bei der Gefangennahme Saddam Husseins gingen die Bilder seiner Höhle
und seiner ungepflegten Erscheinung um die Welt. Die Absicht war
klar und damit wurde eine bewährte – auch sprachliche
– Rhetorik bemüht. Wer in Höhlen wohnt und zivilisatorisch
verwildert ist, ist kein Mensch. Wer kein Mensch ist, sondern beast,
den muss man nicht nach den Regeln der menschlichen Moral behandeln.
Die Bilder sind hier Teil einer Strategie politischer und moralischer
Selbstlegitimierung. Mittels ihrer Hilfe wird versucht, rechtliche
und moralische Regeln ausser Kraft zu setzen. Das unterstreicht
einmal mehr, dass Bilder eingesetzt werden, weil man ihnen viel
zutraut. Sie verkaufen eine Botschaft, die man glauben und nicht
hinterfragen soll.
Die Beispiele verdeutlichen,
ohne sich der Klage eines Zuviel an Bildern anzuschliessen,
dass wir verstehen müssen, wie Bilder funktionieren, um ihrer
suggestiven Kraft nicht unkritisch gegenüberzustehen. Vielleicht
kann man im Anschluss an Hegels Diktum, dass die Philosophie ihre
Zeit in ihre Gedanken fasst, Folgendes formulieren: Wer die Welt
und sich selbst zu begreifen sucht, kann nicht darauf verzichten,
zu wissen, was die Bilder sind und welche Macht und Bedeutung sie
haben. Was in einer digital revolutionierten Welt, in der Bilder
ortlos geworden sind, fehlt, ist ein analog zur Sprache breit etablierter,
kritischer Umgang mit ihnen: eine ikonische Alphabetisierung.
Bilder erklären sich nicht selbst. Ihre Komplexität steht
im Widerspruch zur Naivität, mit der man ihnen allzu oft begegnet.
Wer die Augen öffnet und sieht, hat nicht notwendigerweise
die bildanalytischen Fähigkeiten erworben, Bilder zu „lesen“.
Der iconic turn hat die bisher im Schatten der Sprache stehenden
Bilder ins Licht gerückt:
Sie eröffnen einen eigenen
Zugang zur Welt.
nach obeN
|