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Text: Oliver Jordan
 
Oliver Jordan, wurde 1958 in Essen geboren und lebt heute in Köln und in der Bretagne.
Der Künstler zählt zu den führenden Portraitisten des Landes.
 
   
 

„Wie beurteilen Sie die Entwicklung,dass Kommunikation immer deutlicher vom Bild statt vom Wort bestimmt wird? Was heißt das für Ihre Arbeit? Glauben Sie, dass Bilder Sinn stiften können?“

„Der Pinsel ist dazu da, die Dinge vor dem Chaos zu retten“

Tao Chi, chinesischer Landschaftsmaler aus dem 17. Jahrhundert

Die Malerei beschäftigt sich mit dem Sichtbaren. Die Ergebnisse nennen wir, ob gegenständlich oder ungegenständlich und unabhängig was zur Anschauung gelangt, Bilder. Im Gegensatz zur Fotografie oder zum Filmemachen kommt bei der Malerei der Aspekt des Werdens hinzu, d.h. die Gestaltung und Entwicklung vom weißen Hintergrund ausgehend bis hin zur subjektiv bestimmten, auch künstlerisch genannten, Fertigstellung.

Vor diesem Hintergrund bezieht die Malerei unabhängig von Handarbeit und Talent, einen Teil ihrer Faszination. Das Bild ist die Summe aller zuvor erbrachten „Leistungen“, d.h. in jedem zur Angesicht gelangenden Bild ist die Erfahrung des Werdens und des Beobachtens mit subsumiert und beeinflusst auf komplexe Art und Weise die Lesbarkeit, Präsenz und Strahlkraft des Bildes. Ein komplexes Wahrnehmungsverfahren auf höchst evolutionärem Niveau liegt dem Entschlüsselungsprozess der Bilddaten zugrunde. Diese kulturelle Entwicklung scheint nicht irreversibel!

Heute wimmelt es von Bildern. In keiner Epoche der Menschheit wurde so viel abgebildet und betrachtet, wie in der des 21. Jahrhunderts. Der Zugriff auf Bilder ist zu jeder Tag- und Nachtzeit möglich. Im Technorhythmus werden in allen Himmelsrichtungen auf unserem Planeten (und hinaus) Bildinformationen bis zur Unkenntlichkeit beschleunigt. Im Mittelpunkt steht die Bild-verarbeitung, -manipulation, -vermittlung, -verbreitung und der Bildhandel.

Die technologischen Innovationen machen es leicht, das Erscheinende vom Existierenden zu trennen. Was wir gewahr werden sind Trugbilder. Das Existierende verschwindet. Das Bild, einst Gegenstand der kontemplativen Betrachtung und ein Zeugnis von Anwesenheit ist im Begriff diese Bedeutung zu verlieren. Es muss sich dem Bedürfnis nach dem Flüchtigen und dem Unverbindlichen unterwerfen, es muss ein Passepartout für die Botschaften der Werbeindustrie sein.

Das Anschauen von Bildern ist Teil eines sinnentleerten Spektakels. Ein Spektakel aus leeren Masken und ungetragenen Kleidern. Die Geschwindigkeit verdichtet die Bildräume zu einer einzigen austauschbaren Schleifspur ohne Identität und Notwendigkeit. Heute, gestern und morgen schrumpfen zu einer Kakophonie ohne Ort zusammen.

Das was wir Kunst nennen und mit Kunstszene verwechseln ist von der gleichen Ortlosigkeit angesprungen und scheint im Wirbel des Spektakels zu verdampfen. Wenn wir uns einmal vergegenwärtigen aus welchem Impuls heraus die Sehnsucht nach Bildern entsteht, dann kommen wir der Tragödie, die unserem aktuellen Umgang mit Bildern ausmacht, nahe.

Der Mensch sehnt sich nach Dauer und lehnt sich gegen das tägliche Verschwinden des Sichtbaren auf. Hieraus entsteht der Impuls zum Bilden und zum Malen. Das Festhalten und die Verkündung „ich habe dies gesehen“ stehen im Mittelpunkt eines sysiphusähnlichen Dramas. Das Wissen um die Vergänglichkeit unseres Seins ist der Lohn und führt zur Entwicklung eines hohen Bewusstseins, das die sensibilisierte Wahrnehmung für die andere große Verkündung des Carpe Diem (nutze den Tag) mit einschließt.

„Der Pinsel“ schrieb Tao Chi, der große chinesische Landschaftsmaler des 17. Jahrhunderts „ist dazu da, die Dinge vor dem Chaos zu retten“. Als Anker in der Flut des sich ewig Wandelnden und auch als Anker in der Bilder- und Informationsflut unseres Jahrhunderts wird das gemalte Bild, wenn es in der Lage ist wieder das Existierende zu malen, nicht nur ein Akt des Widerstandes sein, der Hoffnung verbreitet, sondern auch mit dieser Hinwendung sinnstiftend sein.

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