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Im Interview:
Prof. Klaus Müller
Foto: photocase.com © F.Weißenstein
 

 

 
   

 

Professor Dr. Dr. habil. Klaus Müller, geb. 1955 in Regensburg, hat Katholische Theologie und Philosophie in Regensburg, Rom, München und Freiburg studiert. Seit 1996 ist er Universitäts-Professor und Direktor des Seminars für Philosophische Grundfragen der Theologie an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster.  
   

 

  „Bitte im iconic turn nicht denkfaul werden…“

Interview mit Prof. Klaus Müller

Klaus Müller ist ein Denker. Als Religionsphilosoph an der Universität Münster betreibt er eine Grundlagenforschung ganz eigener Art. Ihn interessieren die intellektuellen Tiefenströme der modernen Kultur, das Bedenken ihrer Bedingungen und Folgen. Klaus Müller hat sich intensiv mit den Phänomen der Cyberreligion, der Mythik der neuen Medien und den Standards der Bildkommunikation auseinandergesetzt. Sinnstiftermag wollte wissen: Wie denkt ein solcher Profi des Wortes über den iconic turn?

 

Wann und wie ist Ihnen der Begriff des Iconic turn zum ersten Mal begegnet und was hat er in Ihnen ausgelöst?

Begegnet ist mir der Begriff im Rahmen der Beschäftigung mit dem Thema des jüdisch-christlichen Bilder-Verbots. Der Terminus iconic turn hat mich sofort elektrisiert, weil für mich mit 'turn' philosophisch zwei andere wichtige Einschnitte in der abendländischen Philosophie verbunden sind: die Wendung zum Subjekt bei Kant und die Wendung zur Sprache, zum Wort in der abendländischen Philosophie der 20er Jahre bei Wittgenstein und anderen. Mich interessiert, ob mit der Behauptung eines iconic turn kulturell-philosophisch ein ähnlicher Anspruch verbunden ist.

Wie würden Sie auf der Straße jemandem erklären, was der iconic turn ist?

Wir fassen mit diesem Begriff die offenkundige Wendung unserer kulturellen Kommunikation zu den Bildern. Dies ist nicht absolut, aber dass die Bildkommunikation deutlich im Vormarsch ist, das ist für alle wahrnehmbar, die ein bisschen bewusst durch die Welt gehen.

Als Philosoph sind Sie ein Profi des Wortes: Ist der Iconic turn eine Entwicklung, die Sie als bedrohlich empfinden?

Bedrohlich? Nein. Natürlich muss man über bestimmte Gefahren, Ambivalenzen sprechen. Aber zunächst ist wichtig, dass wir die innere Spannung von Wort und Bild schon seit Beginn des Philosophierens vorfinden. Da ist das optische Paradigma, etwa bei Platon, der von der Schau der ewigen Ideen spricht, verbunden mit Licht und Schatten. Und da ist das akustische Paradigma, etwa bei Pythagoras. Der bringt eine Harmoniephilosophie der Töne, die man als Mensch hört, vernimmt. Das akustische Paradigma hat dann eine besondere Rolle in der Entstehung der großen Monotheismen übernommen, die zu Religionen des Wortes heranwachsen.

Denken Sie etwa an das im Judentum konstitutive Sch'ma Israel, das "Höre Israel", mit dem Jahwe sein auserwähltes Volk anspricht. In der Philosophie und der Geschichte finden wir dauernd das Ringen zwischen beiden Paradigmen, welches Paradigma gewissermaßen die Leitfigur wird für eine bestimmte Epoche des Denkens. Man muss sagen, lange Phasen der christlichen Theologie und der Metaphysik ist auch das optische Paradigma durchaus führend gewesen. Aber es gab eben immer wieder darauf folgend diese Querschüsse der Hörphilosophie und auch der Theologie des Wortes, also des Hinhörens. Etwa Heideggers Philosophie ist eine typische Philosophie des Hinhörens. Heute scheint es so zu sein, dass das optische Paradigma wieder übernimmt.

Wo ist der Unterschied von Wort und Bild? Und ist dieser Unterschied strukturell?

Ja, das meine ich schon. Es sind zwei sehr verschiedene Eigenlogiken. Das Wort stimuliert Fantasie, während das Bild eher festlegt. Dagegen erlauben Bilder eine sehr viel unmittelbarere, konkretere Kommunikation. Die Wahrnehmungspsychologen sagen uns, dass das Rezipieren von Bildern relativ schnell an Grenzen stößt, weil unsere offenkundige Verarbeitungsfähigkeit doch sehr begrenzt zu sein scheint.

Die permanente Überlastung oder auch Überflutung durch Fremdbilder, Außenbilder, kann das eigene Bildrepertoire überlagern und sogar vertrocknen lassen. Dazu kommt, dass das massenhafte Konsumieren von z.B. TV-Bildern nicht ohne Einfluss auf die sprachlichen Kompetenzen etwa gerade von Kindern und Schülern bleibt. Da scheint mir was dran zu sein.

Aber als die Menschen noch nicht lesen und schreiben konnten, war doch das Bild dominierend. Trotzdem soll ein Zuviel an Bildern den Menschen überfordern können?

Man muss sehen, dass die Bilder der Menschen in der Zeit vor der Verschriftlichung sehr viel stärker ins Erzählen eingebettet waren. Sie waren Verdichtungen, Chiffren für große, identitätsstiftende Erzählungen. Heute aber treten die Bilder an die Stelle der Worte.

Hängt der iconic turn auch mit dem zusammen, was Zeitdiagnostiker als 'Krise des Wortes' oder gar der Rationalität an sich bezeichnen?

Ja, es ist prekär geworden, sich mit Begriffen und differenzierten Sprachketten zu verständigen. Ich sehe auch noch weiter ausgreifende Ursachen, die alle die Bildkommunikation vor der des Wortes zu begünstigen scheinen. Da ist zum einen der Durchbruch der technischen Möglichkeiten der Wissensgesellschaft, PC, Handy, GPS usw., der unsere Kommunikation internationalisiert, mediatisiert und über die ikonischen Benutzeroberflächen auch intensiv visualisiert.

Sicherlich hat etwa die Konjunktur der Bildkommunikation viel zu tun mit dem Versuche einer lingua franca, also einer für alle verständlichen Kommunikationsform und einer Vereinfachung von Kommunikation. Das ist angesichts der Internationalisierung unserer sozialen Beziehungen und ihrem gegebenen Sprachenwirrwarr ein sicher notwendiges Projekt.

Nehmen wir als Beispiel die Piktogramme von Otl Aicher zu den Olympischen Spielen in München 1972 – was für geniale, faszinierende Bilder! Die Klarheit, die Farbigkeit, die durch sie ermöglichte Navigation, die bis heute gilt. Und, man muss das wissen, der Aicher hatte im Hintergrund einerseits die japanische Grafik, auf der anderen Seite die Thesen von Wittgenstein, nach der die Abbildfunktion der Sprache mit Wörtern nicht umgesetzt werden kann. Aber mit Piktogrammen. 1972, das waren poetische Piktogramme, von einer Qualität, die die heutige emotical communication, z.B. in der Benutzerführung im Internet so nicht erreicht. Übrigens ist heute ein großer Tag, heute feiert der Smiley seinen 25 Geburtstag. Auch so ein Element der lingua franca.

Aber können denn Piktogramme, Symbole, Bilder die Last der ganzen heutigen Kommunikation schultern?

Eben nicht, und das ist die Ambivalenz. Sehen Sie, diskursive Kommunikation ist immer sehr differenziert, durch den Einsatz von Nebensätzen usw. Insofern wirken optische Kommunikationen entdifferenzierend. An vielen Stellen aber darf gerade diese Differenzierung nicht verloren gehen.

Nehmen Sie meinen Beruf. Ich habe lange darüber nachgedacht, ob ich nicht das Programm Powerpoint für Philosophie-Vorlesungen verwenden soll. Ich habe mich entschieden, das nicht zu tun. Zwar verstehe ich jeden Kollegen, der das tut und z.B. im Fach Kirchengeschichte graphische Bebilderung von geographischen Verteilungen anbietet. Das geht. Aber differenzierte Gedankenführungen kann man nicht wirklich in dieser Technik darstellen.

Ich sag immer etwas polemisch, das gebe ich zu, dass Powerpoint etwas sehr Autoritäres an sich hat. Man muss die Dinge beschränken, auf fünf bis sechs Zeilen. Die Leute sehen das, sie schreiben es ab und das war's. Ein wirkliches Hineinverstricken in einen Diskurs, in die Anstrengung einer Gedankenbildung, scheint mir dadurch erschwert. Und da liegt das Problem: Wir dürfen auch im iconic turn nicht denk- und differenzierungsfaul werden.

Ein Phänomen wurde noch nicht benannt, das sicher den iconic turn auslöst und ausdrückt: jene großen, dramatischen Ereignisse, zu deren Zeugen wir weltweit über die Medien werden. Ein wichtiges Beispiel ist das Attentat auf das World Trade Center am 11.9.2001.

Hier brennen sich Bilder buchstäblich ins Bewusstsein. Die Fernsehsender ließen den Flug des zweiten Flugzeugs in die Türme in der Endlosschleife laufen. Ungläubiges Staunen war die Folge: Das muss ein Fake sein. Und man denkt, das Fake ist völlig normal, weil diese Differenz zwischen Sein und Schein, zwischen Virtualität und Realität, ja ein Kennzeichen unserer Sehkultur heute ist.

Fictum und Verum sind nicht mehr so unbedingt zu trennen. Übrigens war das ja auch so beim Attentat auf den Papst 1981. Auch dieses wurde weltweit über Stunden und tagelang mit den Originalbildern kommuniziert und hat absolute Schockerfahrungen ausgelöst. Oder denken Sie an den Mord an J.F. Kennedy, an die Mondlandung, die Beerdigung von Prinzessin Diana.

Der 11.9.2001 ging ja auch stark in die politologische Diskussion ein. Man merkt, dass die Hoheit über das Bild ebenso wie über das Argument zur Managementaufgabe des politischen Geschäftes wird. Wenn wir das mal verallgemeinern und uns als Nutzer der Gesellschaft betrachten; als Nutzer von Politik, Wirtschaft usw. Brauchen wir dann so etwas wie ein neues Lernen des Sehens, ein neues Dechiffrieren von Medien? Hat die Philosophie hier eine neue Aufgabe bekommen?

Mit Sicherheit. Der Punkt ist der, dass ich die Stimmigkeit von Argumenten im Prinzip schon dann überprüfen kann, wenn ich zum Denken fähig bin. Die Bilder kann ich im Prinzip nicht prüfen. Ich muss mich darauf verlassen, dass mir kein Fake gezeigt wir. Und wenn Sie die Möglichkeiten der digitalen Foto- und Filmmontage sehen, oder wenn sie sehen, welches politische Interesse hinter welchem TV-Sender steckt, dann stellt sich sowohl für Produzenten wie für Rezipienten die Frage nach einer kommunikativen Ethik auf ganz neue Weise.

Hier sind ganz neue Herausforderungen zu beachten. Ich nenne nur das Problem, dass heute in den neuen Medien, Web 2.0 usw., die klassische Asymmetrie zwischen Emittenten und Rezipienten aufgehoben ist. Denn jeder kann prinzipiell senden. Was heißt in so einer Situation Authentizität, Nachprüfbarkeit oder gar Wahrheit?

Welche Halbwertzeit haben eigentlich Bilder? Die Polizei setzt etwa vielerorts Bildmotive ein, um Verkehrssünder abzuschrecken, fürchterliche Bilder von verstümmelten Unfallopfern usw. Das geht für den Moment, aber hält nicht lange vor. Ähnliches ist ja auch für die Verpackung von Zigaretten geplant.

Hier sind wir an einem sehr wichtigen Punkt. Ich denke, dass zur Herausforderung einer Medienethik auch die Frage der Medienaskese gehört, der Bildaskese. Der permanente Konsum auch eindrücklicher Bilder führt eindeutig zu Abstumpfungen. Wir sehen das etwa an solchen Portalen wie youtube, in denen oft schockierende Bilder frei zugänglich sind. Da wird ein Gewohnheitseffekt hergestellt. Die Bilder nutzen sich schnell ab.

Anders gesagt: Unsere Rezeptionsgrenzen sind plastisch, ganz offensichtlich. Und das gilt auch für das Wort, allerdings wohl nicht so schnell. Auch mit eindringlichen Rhetoriken können Sie Abstumpfungen erzeugen. So etwas behandeln wir theologisch in der Predigtlehre.

Sie erwähnen die Theologie: Ist das Thema des iconic turn in der Theologie überhaupt schon angekommen?

Doch, auf jeden Fall. Viele Kolleginnen und Kollegen arbeiten daran. Allerdings findet man oft einen bestimmten Akzent, nämlich einen kulturkritischen, den man aus dem jüdisch-christlichen Bilderverbot bezieht. Dieses wird meiner Meinung nach zu schnell theologisch- metaphysisch in Anspruch genommen.

Was ist denn überhaupt der Sinn des Bilderverbotes?

Der ursprünglich theologische Sinn des Bilderverbotes ist faktisch ein Götzen-Verbot. Man will verhindern, dass das Göttliche verfügbar wird im Sinne eines Sich-Bemächtigens. Es geht darum, das Göttliche das Göttliche sein zu lassen, und dies ist ein Abgrenzungskriterium gegen die Götzen-Kulte der umliegenden Religionen.

Allerdings heißt das nicht, dass man eine Grundreserve gegen Bilder und Inszenierungen aufbauen muss. Schließlich behauptet schon der Schöpfungsbericht in der Genesis, dass der Mensch Ebenbild Gottes sei, und im Neuen Testament ist Jesus die sichtbare Repräsentanz des Vaters. Die Pointe ist die, dass man einerseits die Bildhaftigkeit des Christlichen mit den Grenzen des Bildförmigen an sich zusammenbringen muss. Trotz Bilderverbot haben wir darum in der katholischen und in der orthodoxen Ostkirche durchaus ein klares Votum für Bildkommunikation. Und dies nicht nur didaktisch, sondern auch in der Überzeugung, dass sich in Bildern Präsenz ereignet.

Auch andere Weltreligionen tun sich schwer und leicht zugleich mit dem Bild. Gibt es ein typisch religiöses Verhältnis zum Bild?

Das ambivalente Verhältnis zum Bild in den Religionen hat immer zu tun mit der Frage der Repräsentation. Kann ich das, was religiös das Weltumgreifende heißt oder der letzte Grund allen Seins, kann ich das innerhalb der Welt vergegenwärtigen? Kann ich es bannen? Kann ich mich seiner bemächtigen?

Etwa die Höhlenmalerei, das hatte ja etwas zu tun mit der Beschwörung der zu jagenden Tiere. Die Vergegenwärtigung durch das Bild macht das Göttliche in einer bestimmten Weise verfügbar, und hieran kondensiert sowohl die Faszination wie die Abwehr der Religionen gegenüber dem Bild.

Profitieren die Religionen vom iconic turn oder schwächt er sie?

Dort wo es einen sehr kompetenten Umgang mit Bild und Inszenierungen gibt, ist es zurzeit jedenfalls ein Vorteil. Ich denke jetzt an den Katholizismus. Die großen Inszenierungen, das Begräbnis von Johannes Paul II. und auch das ganze Umfeld der letzten Papstwahl, das waren richtige Medienhypes. Und die lebten aus der Stimmigkeit einer uralten Bildgrammatik: die Mahlfeier, die Anbetung, die Farben, all das hatte eine tiefe Eindrücklichkeit und Eigenbotschaft. Es darf weder pompös noch überladen noch verkitscht sein, sondern es muss eine gewisse Askese herrschen. Dann, so denke ich, kann der iconic turn dem Christentum sehr nützen.

Das heißt, Sie stehen den großen Medienevents der Kirchen positiv gegenüber?

Ja. Doch auch hier muss man differenziert urteilen. Die Gefahr ist immer die Überwältigung – was auch für verbale Kommunikation gilt. Wenn das vermieden wird und man die Freiheit des Rezipienten achtet und fördert, bin ich hier durchaus aufgeschlossen. Denn die Bildkommunikation hat ein Eigenrecht, weil Bilder eine emotionale Tiefenschicht anrühren, die genuin zum Menschen und zum Religiösen gehört.

Wie gehen junge Leute heute mit dem Vormarsch der Bilder um?

Jugendliche sind zunächst einmal heute mit Inszenierungen sehr viel mehr vertraut als wir Ältere. Das ist für sie sehr viel alltäglicher: Videoclips etwa, sind ja nichts anderes als musikalische Inszenierungen. Was vielleicht ein Problem ist, ist die Geschwindigkeit, der Zeitfaktor in ihrer Kommunikation. Die modernen Inszenierungen sind alle auf Aktivität angelegt: schneller Wechsel der Schnitte, dauernder Input. Auf der anderen Seite finde ich verblüffend, dass Kinofilme wie "Die große Stille" auch bei Jüngeren Erfolg hatten. Da war nicht viel Aktivität zu sehen, da war Stille gefilmt, und auch diese ruhigen Bilder waren der jungen Generation durchaus zugänglich.

Christentum ist ja nicht nur Theologie, sondern auch Lebensweisheit: Was können wir heute vom christlich-weisheitlichen Umgang mit Bildern lernen?

Zwei Dinge: Einmal dieses Moment des Asketischen, der Reduktion auf das Wesentliche. Und das andere: Die Fähigkeit, die anthropologischen Tiefenschichten zu treffen. Ich nenne ein Beispiel: Mich haben die Fotos von Oliviero Toscani fasziniert, dem Fotografen von Benetton. Er hat mit Kirche gar nicht viel zu tun, kennt aber das Christentum und hat meiner Meinung nach geniale christliche Kunstwerke geschaffen. Sie wissen, was ich meine: Das Bild vom sterbenden Aidskranken, das Hemd mit dem Durchschuss, der Kuss von Priester und Nonne.

Er sagt, diese Motive sind doch viel authentischer und menschlicher als die dümmlichen Pausbackbabys in irgendwelchen Anzeigen. Diese Bilder haben etwas Ikonisches an sich, das so stark ist, dass ich sie sogar schon einmal verwenden konnte, als ich Ordensschwestern Exerzitien gegeben habe. Die Schwestern konnten damit beten. Sie erkanten ihre Themen in den Bildern wieder, so etwa die Pieta in der Mutter des Aidskranken.

Und es befremdet Sie gar nicht, dass mit solchen Motiven Kommerz gemacht wird?

Zuerst schon. Aber die Lektüre der Interviews von Toscani und dann seiner Monographie hat mich von anderem überzeugt. Er sagt, die größte Kommunikationsfläche der Welt ist die Werbung. Das ist auch so. Die zahlt es ja auch. Er sagt, ich kann da etwas kommunizieren über die Wahrheit des Lebens. Dass nicht alles chanel ist, hipp ist und hübsch und fitt, sondern dass der Mensch erst voll erfasst ist mit seinen ganzen Schmerzlichkeiten und allem Drum und dran, das habe ich ihm abgenommen.

Da sind wir jetzt schon sehr gut im dritten Teil unseres Gespräches gelandet, dem mehr praktischen. Wir vom sinnstifter-Magazin sagen, dass die Relevanzkrise der Kirche im iconic turn heute stark daher rührt, dass die Kirchen sich zu wenig um ihre faktische Wahrnehmbarkeit kümmern. Kirche kommt an den öffentlichen Treffpunkten, wo die relevanten Kommunikationen stattfinden, häufig nicht vor, und wenn, dann macht sie sich oft unter Preis ansichtig. Teilen Sie unsere Wahrnehmung?

Ich würde so sagen: In der öffentlichen Kommunikation der Kirche, ihrer Bilderkommunikation, ist das Hauptproblem der Kitsch. Nicht bei den Großereignissen, über die wir schon gesprochen haben. Sondern im Alltag. Da herrscht zu oft eine Entfernung von den normalen Standards. Und das hat zu tun mit einer Entfremdung zwischen den modernen Künsten und den Kirchen.

Wir hatten ja gerade in Köln in den letzten Wochen diese Debatte um das Domfenster von Gerhard Richter. Man kann da nicht einfach sagen, wir machen jetzt eine figürliche Darstellung, wie man das im 19. Jahrhundert gemacht hat. Es fehlt der Mut zur Bildsprache der Gegenwart. Und so kommt es zum Kitsch. Kitsch entsteht immer dann, wenn man hinter einem Wahrnehmungsangebot eine strategische Absicht verbirgt. Das stößt die Leute ab. Sie merken: Die Kirche will mich packen, ihr ästhetischer Auftritt ist nur Mittel zum Zweck.

Sie geben das Stichwort: Mut. Ist es für Sie denkbar, Kirche optisch inmitten von Claudia Schiffer und einer Kampagne für Halbfettmargarine zu bewerben?

Durchaus. Es war immer das Selbstverständnis des Christentums, auf den Aeropag, auf den Markt zu gehen und dort auch präsent zu sein. Paulus etwa war einer der großen Kommunikatoren seiner Zeit. Mitunter sieht man das ja auch, oft bei der evangelischen Kirche, aber neulich auch im Kontext des Papstbesuches in Bayern oder zum Weltjugendtag.

Da gab es auch so richtig große Plakatwände mit sehr pointierten Sätzen und den Fotos des Papstes auf den Bahnhöfen. Das fand ich gar nicht schlecht. Das war nicht aufdringlich, das stand für eine Marke, für selbstbewusste Identität. Zum Beispiel zum Advent sollte die Kirche an das erinnern, was sie eigentlich meinen, wenn sie Weihnachten feiern, etwa in der Bildersprache eines Toscani – und das auch ruhig in der Nachbarschaft von Claudia Schiffer und Margarine.

Was müsste aus dem iconic turn für kirchliche Öffentlichkeitsarbeit folgen?

Zunächst einmal eine Kompetenzbildung bei den kirchlichen Funktionsträgern. Für alle, die irgendwas zu tun haben mit Glaubensverkündung oder Religionspädagogik müsste Medienkompetenz mit zur Ausbildung gehören. Eigentlich wäre das heute ein Thema der Systematischen Theologie insgesamt. Das ist heute so wichtig wie das Erlernen sozialer Kompetenz. Funktionsträger, Priester und Laien, im liturgischem Dienst etwa, müssten dringend Kompetenz erwerben hinsichtlich ihrer Kleidung. Das ist ein ganz heißer Punkt. Was es da an Kitsch gibt!

Aber warum tut sich die Kirche so schwer mit ästhetischer Kommunikation?

Ich glaube, da hat man einfach über lange Zeit gedacht, dass sich das von selber erledigt. Und die Debatte hat sich auch in bestimmten Klischees festgefressen. Dass man mit neuen Formen experimentiert, das hat seit den 70er Jahren zu wenig Platz gehabt. Es war auch nicht opportun, für Stil und Ästhetik Geld auszugeben. Das fand sofort die radikale Kritik seitens sozial engagierter Jugendlicher. Ihr Anliegen war ja auch völlig berechtigt. Nur wurde dadurch die konkrete Wahrnehmungsgestalt der Gemeinde, der Kirche vernachlässigt. Wenn etwa ein Künstler ein Messgewand entwirft, dann kann man den doch nicht mit € 500,00 abspeisen, das ist ein Witz.

Also echte Ressentiments gegenüber einer Verbesserung der Wahrnehmbarkeit?

Wenn es sie gibt, dann im Kontext des Stichwortes Macht. Da ist ja auch eine gewisse Vorsicht geboten. Man spricht ja schon davon, etwa im amerikanischen Kontext, religiöse Profile wie starke Marken zu positionieren, um die Leute zu überzeugen. Da steht dann schnell die fundamentalistische Versuchung im Raum. Ich meine auch, dass man nicht zu schnell die ökonomische Logik auf religiöse Phänomene überträgt.

Es gibt aber noch einen Vorbehalt, nämlich in Teilen kirchlicher Funktionsträger ein gewisses Ressentiment gegen das Intellektuelle. Das ist sehr viel stärker heute, als es in den 60er oder 70er Jahren war. Heute sagen viele, Religion liegt jenseits von Vernunft, sei das Ganz andere oder so. Es gibt einen anti-intellektualistischen Trend, auch bis tief in die Theologie hinein.

Dass die Kirche sich auf dem Aeropag zu behaupten hätte, ist durchaus nicht theologischer Konsens. Ich bin da froh, dass der gegenwärtige Papst – bei allen strittigen Punkten – das so betont, dass der Glaube die Vernunft braucht, und zwar konstitutiv. Der Anti-Intellektualismus, das ist auch ein Bereich, den ich eher in einer fundamentalistischen Intention lokalisiere. Was uns heute fehlt, ist das Bewusstsein, das in unserer spätmodernen westlichen Gesellschaft eigentlich nur noch das Realität ist, was in den Medien vorkommt. Was da nicht vorkommt, gibt’s einfach nicht.

Eine persönliche Frage: Wie würden Sie für Kirche werben: eher laut oder eher leise?

Ich glaube, ich würde eher einen Kontrast suchen zu den in der Regel sehr lauten Kommunikationsformen der Gegenwart. Ich würde eher zu leisen Tönen kommen. Wo ich nicht überwältigt werde, sondern eher überrascht, z.B. durch eine Stille, die reich gefüllt ist.

Wir fragen unsere Interviewpartner am Ende unserer Gespräche immer nach den Quellen Ihrer mentalen Kraft. Woher beziehen Sie Ihre Kraft? Und inwiefern hat diese Kraft was mit Kirche zu tun?

Ich lebe aus zwei Quellen. Die eine, die tiefere noch, ist die bayrisch-katholische Tradition, mit der ich aufgewachsen bin. Da hatte ich großes Glück. Ich bin in einer Familie und in einer Gemeinde groß geworden, in der das Sinnliche, Mediale, das Gelebte alles sehr stimmig war. Das hat etwas sehr Tragendes bis heute. Damit ist auch beantwortet, was das mit Kirche zu tun hat. Nennen wir diese Quelle "Jerusalem", als Sinnbild für die Heimat im Christlichen.

Die zweite Quelle wäre dann sozusagen "Athen", als Sinnbild für das Denken und Philosophieren. Die Beschäftigung mit den Dingen; das Erleben, dass ein stimmiger Gedanke etwas Beglückendes hat. Das sind meine beiden Quellen, aus denen ich mein Alltagsgeschäft betreibe: Athen und Jerusalem.

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