„Bitte im iconic turn nicht denkfaul
werden…“
Interview mit Prof. Klaus Müller
Klaus Müller ist ein Denker. Als Religionsphilosoph
an der Universität Münster betreibt er eine Grundlagenforschung
ganz eigener Art. Ihn interessieren die intellektuellen Tiefenströme
der modernen Kultur, das Bedenken ihrer Bedingungen und Folgen.
Klaus Müller hat sich intensiv mit den Phänomen der Cyberreligion,
der Mythik der neuen Medien und den Standards der Bildkommunikation
auseinandergesetzt. Sinnstiftermag wollte wissen: Wie denkt ein
solcher Profi des Wortes über den iconic turn?
Wann und
wie ist Ihnen der Begriff des Iconic turn zum ersten Mal begegnet
und was hat er in Ihnen ausgelöst?
Begegnet ist mir der Begriff im Rahmen
der Beschäftigung mit dem Thema des jüdisch-christlichen
Bilder-Verbots. Der Terminus iconic turn hat mich sofort elektrisiert,
weil für mich mit 'turn' philosophisch zwei andere wichtige
Einschnitte in der abendländischen Philosophie verbunden sind:
die Wendung zum Subjekt bei Kant und die Wendung zur Sprache, zum
Wort in der abendländischen Philosophie der 20er Jahre bei
Wittgenstein und anderen. Mich interessiert, ob mit der Behauptung
eines iconic turn kulturell-philosophisch ein ähnlicher Anspruch
verbunden ist.
Wie würden
Sie auf der Straße jemandem erklären, was der iconic
turn ist?
Wir fassen mit diesem Begriff die offenkundige
Wendung unserer kulturellen Kommunikation zu den Bildern. Dies ist
nicht absolut, aber dass die Bildkommunikation deutlich im Vormarsch
ist, das ist für alle wahrnehmbar, die ein bisschen bewusst
durch die Welt gehen.
Als Philosoph
sind Sie ein Profi des Wortes: Ist der Iconic turn eine Entwicklung,
die Sie als bedrohlich empfinden?
Bedrohlich? Nein. Natürlich muss
man über bestimmte Gefahren, Ambivalenzen sprechen. Aber zunächst
ist wichtig, dass wir die innere Spannung von Wort und Bild schon
seit Beginn des Philosophierens vorfinden. Da ist das optische Paradigma,
etwa bei Platon, der von der Schau der ewigen Ideen spricht, verbunden
mit Licht und Schatten. Und da ist das akustische Paradigma, etwa
bei Pythagoras. Der bringt eine Harmoniephilosophie der Töne,
die man als Mensch hört, vernimmt. Das akustische Paradigma
hat dann eine besondere Rolle in der Entstehung der großen
Monotheismen übernommen, die zu Religionen des Wortes heranwachsen.
Denken Sie etwa an das im Judentum konstitutive
Sch'ma Israel, das "Höre Israel", mit dem Jahwe sein
auserwähltes Volk anspricht. In der Philosophie und der Geschichte
finden wir dauernd das Ringen zwischen beiden Paradigmen, welches
Paradigma gewissermaßen die Leitfigur wird für eine bestimmte
Epoche des Denkens. Man muss sagen, lange Phasen der christlichen
Theologie und der Metaphysik ist auch das optische Paradigma durchaus
führend gewesen. Aber es gab eben immer wieder darauf folgend
diese Querschüsse der Hörphilosophie und auch der Theologie
des Wortes, also des Hinhörens. Etwa Heideggers Philosophie
ist eine typische Philosophie des Hinhörens. Heute scheint
es so zu sein, dass das optische Paradigma wieder übernimmt.
Wo ist der
Unterschied von Wort und Bild? Und ist dieser Unterschied strukturell?
Ja, das meine ich schon. Es sind zwei
sehr verschiedene Eigenlogiken. Das Wort stimuliert Fantasie, während
das Bild eher festlegt. Dagegen erlauben Bilder eine sehr viel unmittelbarere,
konkretere Kommunikation. Die Wahrnehmungspsychologen sagen uns,
dass das Rezipieren von Bildern relativ schnell an Grenzen stößt,
weil unsere offenkundige Verarbeitungsfähigkeit doch sehr begrenzt
zu sein scheint.
Die permanente Überlastung oder auch
Überflutung durch Fremdbilder, Außenbilder, kann das
eigene Bildrepertoire überlagern und sogar vertrocknen lassen.
Dazu kommt, dass das massenhafte Konsumieren von z.B. TV-Bildern
nicht ohne Einfluss auf die sprachlichen Kompetenzen etwa gerade
von Kindern und Schülern bleibt. Da scheint mir was dran zu
sein.
Aber als
die Menschen noch nicht lesen und schreiben konnten, war doch das
Bild dominierend. Trotzdem soll ein Zuviel an Bildern den Menschen
überfordern können?
Man muss sehen, dass die Bilder der Menschen
in der Zeit vor der Verschriftlichung sehr viel stärker ins
Erzählen eingebettet waren. Sie waren Verdichtungen, Chiffren
für große, identitätsstiftende Erzählungen.
Heute aber treten die Bilder an die Stelle der Worte.
Hängt
der iconic turn auch mit dem zusammen, was Zeitdiagnostiker als
'Krise des Wortes' oder gar der Rationalität an sich bezeichnen?
Ja, es ist prekär geworden, sich
mit Begriffen und differenzierten Sprachketten zu verständigen.
Ich sehe auch noch weiter ausgreifende Ursachen, die alle die Bildkommunikation
vor der des Wortes zu begünstigen scheinen. Da ist zum einen
der Durchbruch der technischen Möglichkeiten der Wissensgesellschaft,
PC, Handy, GPS usw., der unsere Kommunikation internationalisiert,
mediatisiert und über die ikonischen Benutzeroberflächen
auch intensiv visualisiert.
Sicherlich hat etwa die Konjunktur der
Bildkommunikation viel zu tun mit dem Versuche einer lingua franca,
also einer für alle verständlichen Kommunikationsform
und einer Vereinfachung von Kommunikation. Das ist angesichts der
Internationalisierung unserer sozialen Beziehungen und ihrem gegebenen
Sprachenwirrwarr ein sicher notwendiges Projekt.
Nehmen wir als Beispiel die Piktogramme
von Otl Aicher zu den Olympischen Spielen in München 1972 –
was für geniale, faszinierende Bilder! Die Klarheit, die Farbigkeit,
die durch sie ermöglichte Navigation, die bis heute gilt. Und,
man muss das wissen, der Aicher hatte im Hintergrund einerseits
die japanische Grafik, auf der anderen Seite die Thesen von Wittgenstein,
nach der die Abbildfunktion der Sprache mit Wörtern nicht umgesetzt
werden kann. Aber mit Piktogrammen. 1972, das waren poetische Piktogramme,
von einer Qualität, die die heutige emotical communication,
z.B. in der Benutzerführung im Internet so nicht erreicht.
Übrigens ist heute ein großer Tag, heute feiert der Smiley
seinen 25 Geburtstag. Auch so ein Element der lingua franca.
Aber können
denn Piktogramme, Symbole, Bilder die Last der ganzen heutigen Kommunikation
schultern?
Eben nicht, und das ist die Ambivalenz.
Sehen Sie, diskursive Kommunikation ist immer sehr differenziert,
durch den Einsatz von Nebensätzen usw. Insofern wirken optische
Kommunikationen entdifferenzierend. An vielen Stellen aber darf
gerade diese Differenzierung nicht verloren gehen.
Nehmen Sie meinen Beruf. Ich habe lange
darüber nachgedacht, ob ich nicht das Programm Powerpoint für
Philosophie-Vorlesungen verwenden soll. Ich habe mich entschieden,
das nicht zu tun. Zwar verstehe ich jeden Kollegen, der das tut
und z.B. im Fach Kirchengeschichte graphische Bebilderung von geographischen
Verteilungen anbietet. Das geht. Aber differenzierte Gedankenführungen
kann man nicht wirklich in dieser Technik darstellen.
Ich sag immer etwas polemisch, das gebe
ich zu, dass Powerpoint etwas sehr Autoritäres an sich hat.
Man muss die Dinge beschränken, auf fünf bis sechs Zeilen.
Die Leute sehen das, sie schreiben es ab und das war's. Ein wirkliches
Hineinverstricken in einen Diskurs, in die Anstrengung einer Gedankenbildung,
scheint mir dadurch erschwert. Und da liegt das Problem: Wir dürfen
auch im iconic turn nicht denk- und differenzierungsfaul werden.
Ein Phänomen
wurde noch nicht benannt, das sicher den iconic turn auslöst
und ausdrückt: jene großen, dramatischen Ereignisse,
zu deren Zeugen wir weltweit über die Medien werden. Ein wichtiges
Beispiel ist das Attentat auf das World Trade Center am 11.9.2001.
Hier brennen sich Bilder buchstäblich
ins Bewusstsein. Die Fernsehsender ließen den Flug des zweiten
Flugzeugs in die Türme in der Endlosschleife laufen. Ungläubiges
Staunen war die Folge: Das muss ein Fake sein. Und man denkt, das
Fake ist völlig normal, weil diese Differenz zwischen Sein
und Schein, zwischen Virtualität und Realität, ja ein
Kennzeichen unserer Sehkultur heute ist.
Fictum und Verum sind nicht mehr so unbedingt
zu trennen. Übrigens war das ja auch so beim Attentat auf den
Papst 1981. Auch dieses wurde weltweit über Stunden und tagelang
mit den Originalbildern kommuniziert und hat absolute Schockerfahrungen
ausgelöst. Oder denken Sie an den Mord an J.F. Kennedy, an
die Mondlandung, die Beerdigung von Prinzessin Diana.
Der 11.9.2001
ging ja auch stark in die politologische Diskussion ein. Man merkt,
dass die Hoheit über das Bild ebenso wie über das Argument
zur Managementaufgabe des politischen Geschäftes wird. Wenn
wir das mal verallgemeinern und uns als Nutzer der Gesellschaft
betrachten; als Nutzer von Politik, Wirtschaft usw. Brauchen wir
dann so etwas wie ein neues Lernen des Sehens, ein neues Dechiffrieren
von Medien? Hat die Philosophie hier eine neue Aufgabe bekommen?
Mit Sicherheit. Der Punkt ist der, dass
ich die Stimmigkeit von Argumenten im Prinzip schon dann überprüfen
kann, wenn ich zum Denken fähig bin. Die Bilder kann ich im
Prinzip nicht prüfen. Ich muss mich darauf verlassen, dass
mir kein Fake gezeigt wir. Und wenn Sie die Möglichkeiten der
digitalen Foto- und Filmmontage sehen, oder wenn sie sehen, welches
politische Interesse hinter welchem TV-Sender steckt, dann stellt
sich sowohl für Produzenten wie für Rezipienten die Frage
nach einer kommunikativen Ethik auf ganz neue Weise.
Hier sind ganz neue Herausforderungen
zu beachten. Ich nenne nur das Problem, dass heute in den neuen
Medien, Web 2.0 usw., die klassische Asymmetrie zwischen Emittenten
und Rezipienten aufgehoben ist. Denn jeder kann prinzipiell senden.
Was heißt in so einer Situation Authentizität, Nachprüfbarkeit
oder gar Wahrheit?
Welche Halbwertzeit
haben eigentlich Bilder? Die Polizei setzt etwa vielerorts Bildmotive
ein, um Verkehrssünder abzuschrecken, fürchterliche Bilder
von verstümmelten Unfallopfern usw. Das geht für den Moment,
aber hält nicht lange vor. Ähnliches ist ja auch für
die Verpackung von Zigaretten geplant.
Hier sind wir an einem sehr wichtigen
Punkt. Ich denke, dass zur Herausforderung einer Medienethik auch
die Frage der Medienaskese gehört, der Bildaskese. Der permanente
Konsum auch eindrücklicher Bilder führt eindeutig zu Abstumpfungen.
Wir sehen das etwa an solchen Portalen wie youtube, in denen oft
schockierende Bilder frei zugänglich sind. Da wird ein Gewohnheitseffekt
hergestellt. Die Bilder nutzen sich schnell ab.
Anders gesagt: Unsere Rezeptionsgrenzen
sind plastisch, ganz offensichtlich. Und das gilt auch für
das Wort, allerdings wohl nicht so schnell. Auch mit eindringlichen
Rhetoriken können Sie Abstumpfungen erzeugen. So etwas behandeln
wir theologisch in der Predigtlehre.
Sie erwähnen
die Theologie: Ist das Thema des iconic turn in der Theologie überhaupt
schon angekommen?
Doch, auf jeden Fall. Viele Kolleginnen
und Kollegen arbeiten daran. Allerdings findet man oft einen bestimmten
Akzent, nämlich einen kulturkritischen, den man aus dem jüdisch-christlichen
Bilderverbot bezieht. Dieses wird meiner Meinung nach zu schnell
theologisch- metaphysisch in Anspruch genommen.
Was ist denn
überhaupt der Sinn des Bilderverbotes?
Der ursprünglich theologische Sinn
des Bilderverbotes ist faktisch ein Götzen-Verbot. Man will
verhindern, dass das Göttliche verfügbar wird im Sinne
eines Sich-Bemächtigens. Es geht darum, das Göttliche
das Göttliche sein zu lassen, und dies ist ein Abgrenzungskriterium
gegen die Götzen-Kulte der umliegenden Religionen.
Allerdings heißt das nicht, dass
man eine Grundreserve gegen Bilder und Inszenierungen aufbauen muss.
Schließlich behauptet schon der Schöpfungsbericht in
der Genesis, dass der Mensch Ebenbild Gottes sei, und im Neuen Testament
ist Jesus die sichtbare Repräsentanz des Vaters. Die Pointe
ist die, dass man einerseits die Bildhaftigkeit des Christlichen
mit den Grenzen des Bildförmigen an sich zusammenbringen muss.
Trotz Bilderverbot haben wir darum in der katholischen und in der
orthodoxen Ostkirche durchaus ein klares Votum für Bildkommunikation.
Und dies nicht nur didaktisch, sondern auch in der Überzeugung,
dass sich in Bildern Präsenz ereignet.
Auch andere
Weltreligionen tun sich schwer und leicht zugleich mit dem Bild.
Gibt es ein typisch religiöses Verhältnis zum Bild?
Das ambivalente Verhältnis zum Bild
in den Religionen hat immer zu tun mit der Frage der Repräsentation.
Kann ich das, was religiös das Weltumgreifende heißt
oder der letzte Grund allen Seins, kann ich das innerhalb der Welt
vergegenwärtigen? Kann ich es bannen? Kann ich mich seiner
bemächtigen?
Etwa die Höhlenmalerei, das hatte
ja etwas zu tun mit der Beschwörung der zu jagenden Tiere.
Die Vergegenwärtigung durch das Bild macht das Göttliche
in einer bestimmten Weise verfügbar, und hieran kondensiert
sowohl die Faszination wie die Abwehr der Religionen gegenüber
dem Bild.
Profitieren die Religionen vom iconic turn oder schwächt er
sie?
Dort wo es einen sehr kompetenten Umgang
mit Bild und Inszenierungen gibt, ist es zurzeit jedenfalls ein
Vorteil. Ich denke jetzt an den Katholizismus. Die großen
Inszenierungen, das Begräbnis von Johannes Paul II. und auch
das ganze Umfeld der letzten Papstwahl, das waren richtige Medienhypes.
Und die lebten aus der Stimmigkeit einer uralten Bildgrammatik:
die Mahlfeier, die Anbetung, die Farben, all das hatte eine tiefe
Eindrücklichkeit und Eigenbotschaft. Es darf weder pompös
noch überladen noch verkitscht sein, sondern es muss eine gewisse
Askese herrschen. Dann, so denke ich, kann der iconic turn dem Christentum
sehr nützen.
Das heißt,
Sie stehen den großen Medienevents der Kirchen positiv gegenüber?
Ja. Doch auch hier muss man differenziert
urteilen. Die Gefahr ist immer die Überwältigung –
was auch für verbale Kommunikation gilt. Wenn das vermieden
wird und man die Freiheit des Rezipienten achtet und fördert,
bin ich hier durchaus aufgeschlossen. Denn die Bildkommunikation
hat ein Eigenrecht, weil Bilder eine emotionale Tiefenschicht anrühren,
die genuin zum Menschen und zum Religiösen gehört.
Wie gehen
junge Leute heute mit dem Vormarsch der Bilder um?
Jugendliche sind zunächst einmal
heute mit Inszenierungen sehr viel mehr vertraut als wir Ältere.
Das ist für sie sehr viel alltäglicher: Videoclips etwa,
sind ja nichts anderes als musikalische Inszenierungen. Was vielleicht
ein Problem ist, ist die Geschwindigkeit, der Zeitfaktor in ihrer
Kommunikation. Die modernen Inszenierungen sind alle auf Aktivität
angelegt: schneller Wechsel der Schnitte, dauernder Input. Auf der
anderen Seite finde ich verblüffend, dass Kinofilme wie "Die
große Stille" auch bei Jüngeren Erfolg hatten. Da
war nicht viel Aktivität zu sehen, da war Stille gefilmt, und
auch diese ruhigen Bilder waren der jungen Generation durchaus zugänglich.
Christentum
ist ja nicht nur Theologie, sondern auch Lebensweisheit: Was können
wir heute vom christlich-weisheitlichen Umgang mit Bildern lernen?
Zwei Dinge: Einmal dieses Moment des
Asketischen, der Reduktion auf das Wesentliche. Und das andere:
Die Fähigkeit, die anthropologischen Tiefenschichten zu treffen.
Ich nenne ein Beispiel: Mich haben die Fotos von Oliviero Toscani
fasziniert, dem Fotografen von Benetton. Er hat mit Kirche gar nicht
viel zu tun, kennt aber das Christentum und hat meiner Meinung nach
geniale christliche Kunstwerke geschaffen. Sie wissen, was ich meine:
Das Bild vom sterbenden Aidskranken, das Hemd mit dem Durchschuss,
der Kuss von Priester und Nonne.
Er sagt, diese Motive sind doch viel authentischer
und menschlicher als die dümmlichen Pausbackbabys in irgendwelchen
Anzeigen. Diese Bilder haben etwas Ikonisches an sich, das so stark
ist, dass ich sie sogar schon einmal verwenden konnte, als ich Ordensschwestern
Exerzitien gegeben habe. Die Schwestern konnten damit beten. Sie
erkanten ihre Themen in den Bildern wieder, so etwa die Pieta in
der Mutter des Aidskranken.
Und es befremdet
Sie gar nicht, dass mit solchen Motiven Kommerz gemacht wird?
Zuerst schon. Aber die Lektüre der
Interviews von Toscani und dann seiner Monographie hat mich von
anderem überzeugt. Er sagt, die größte Kommunikationsfläche
der Welt ist die Werbung. Das ist auch so. Die zahlt es ja auch.
Er sagt, ich kann da etwas kommunizieren über die Wahrheit
des Lebens. Dass nicht alles chanel ist, hipp ist und hübsch
und fitt, sondern dass der Mensch erst voll erfasst ist mit seinen
ganzen Schmerzlichkeiten und allem Drum und dran, das habe ich ihm
abgenommen.
Da sind wir
jetzt schon sehr gut im dritten Teil unseres Gespräches gelandet,
dem mehr praktischen. Wir vom sinnstifter-Magazin sagen, dass die
Relevanzkrise der Kirche im iconic turn heute stark daher rührt,
dass die Kirchen sich zu wenig um ihre faktische Wahrnehmbarkeit
kümmern. Kirche kommt an den öffentlichen Treffpunkten,
wo die relevanten Kommunikationen stattfinden, häufig nicht
vor, und wenn, dann macht sie sich oft unter Preis ansichtig. Teilen
Sie unsere Wahrnehmung?
Ich würde so sagen: In der öffentlichen
Kommunikation der Kirche, ihrer Bilderkommunikation, ist das Hauptproblem
der Kitsch. Nicht bei den Großereignissen, über die wir
schon gesprochen haben. Sondern im Alltag. Da herrscht zu oft eine
Entfernung von den normalen Standards. Und das hat zu tun mit einer
Entfremdung zwischen den modernen Künsten und den Kirchen.
Wir hatten ja gerade in Köln in den
letzten Wochen diese Debatte um das Domfenster von Gerhard Richter.
Man kann da nicht einfach sagen, wir machen jetzt eine figürliche
Darstellung, wie man das im 19. Jahrhundert gemacht hat. Es fehlt
der Mut zur Bildsprache der Gegenwart. Und so kommt es zum Kitsch.
Kitsch entsteht immer dann, wenn man hinter einem Wahrnehmungsangebot
eine strategische Absicht verbirgt. Das stößt die Leute
ab. Sie merken: Die Kirche will mich packen, ihr ästhetischer
Auftritt ist nur Mittel zum Zweck.
Sie geben
das Stichwort: Mut. Ist es für Sie denkbar, Kirche optisch
inmitten von Claudia Schiffer und einer Kampagne für Halbfettmargarine
zu bewerben?
Durchaus. Es war immer das Selbstverständnis
des Christentums, auf den Aeropag, auf den Markt zu gehen und dort
auch präsent zu sein. Paulus etwa war einer der großen
Kommunikatoren seiner Zeit. Mitunter sieht man das ja auch, oft
bei der evangelischen Kirche, aber neulich auch im Kontext des Papstbesuches
in Bayern oder zum Weltjugendtag.
Da gab es auch so richtig große
Plakatwände mit sehr pointierten Sätzen und den Fotos
des Papstes auf den Bahnhöfen. Das fand ich gar nicht schlecht.
Das war nicht aufdringlich, das stand für eine Marke, für
selbstbewusste Identität. Zum Beispiel zum Advent sollte die
Kirche an das erinnern, was sie eigentlich meinen, wenn sie Weihnachten
feiern, etwa in der Bildersprache eines Toscani – und das
auch ruhig in der Nachbarschaft von Claudia Schiffer und Margarine.
Was müsste
aus dem iconic turn für kirchliche Öffentlichkeitsarbeit
folgen?
Zunächst einmal eine Kompetenzbildung
bei den kirchlichen Funktionsträgern. Für alle, die irgendwas
zu tun haben mit Glaubensverkündung oder Religionspädagogik
müsste Medienkompetenz mit zur Ausbildung gehören. Eigentlich
wäre das heute ein Thema der Systematischen Theologie insgesamt.
Das ist heute so wichtig wie das Erlernen sozialer Kompetenz. Funktionsträger,
Priester und Laien, im liturgischem Dienst etwa, müssten dringend
Kompetenz erwerben hinsichtlich ihrer Kleidung. Das ist ein ganz
heißer Punkt. Was es da an Kitsch gibt!
Aber warum
tut sich die Kirche so schwer mit ästhetischer Kommunikation?
Ich glaube, da hat man einfach über
lange Zeit gedacht, dass sich das von selber erledigt. Und die Debatte
hat sich auch in bestimmten Klischees festgefressen. Dass man mit
neuen Formen experimentiert, das hat seit den 70er Jahren zu wenig
Platz gehabt. Es war auch nicht opportun, für Stil und Ästhetik
Geld auszugeben. Das fand sofort die radikale Kritik seitens sozial
engagierter Jugendlicher. Ihr Anliegen war ja auch völlig berechtigt.
Nur wurde dadurch die konkrete Wahrnehmungsgestalt der Gemeinde,
der Kirche vernachlässigt. Wenn etwa ein Künstler ein
Messgewand entwirft, dann kann man den doch nicht mit € 500,00
abspeisen, das ist ein Witz.
Also echte
Ressentiments gegenüber einer Verbesserung der Wahrnehmbarkeit?
Wenn es sie gibt, dann im Kontext des
Stichwortes Macht. Da ist ja auch eine gewisse Vorsicht geboten.
Man spricht ja schon davon, etwa im amerikanischen Kontext, religiöse
Profile wie starke Marken zu positionieren, um die Leute zu überzeugen.
Da steht dann schnell die fundamentalistische Versuchung im Raum.
Ich meine auch, dass man nicht zu schnell die ökonomische Logik
auf religiöse Phänomene überträgt.
Es gibt aber noch einen Vorbehalt, nämlich
in Teilen kirchlicher Funktionsträger ein gewisses Ressentiment
gegen das Intellektuelle. Das ist sehr viel stärker heute,
als es in den 60er oder 70er Jahren war. Heute sagen viele, Religion
liegt jenseits von Vernunft, sei das Ganz andere oder so. Es gibt
einen anti-intellektualistischen Trend, auch bis tief in die Theologie
hinein.
Dass die Kirche sich auf dem Aeropag zu
behaupten hätte, ist durchaus nicht theologischer Konsens.
Ich bin da froh, dass der gegenwärtige Papst – bei allen
strittigen Punkten – das so betont, dass der Glaube die Vernunft
braucht, und zwar konstitutiv. Der Anti-Intellektualismus, das ist
auch ein Bereich, den ich eher in einer fundamentalistischen Intention
lokalisiere. Was uns heute fehlt, ist das Bewusstsein, das in unserer
spätmodernen westlichen Gesellschaft eigentlich nur noch das
Realität ist, was in den Medien vorkommt. Was da nicht vorkommt,
gibt’s einfach nicht.
Eine persönliche
Frage: Wie würden Sie für Kirche werben: eher laut oder
eher leise?
Ich glaube, ich würde eher einen
Kontrast suchen zu den in der Regel sehr lauten Kommunikationsformen
der Gegenwart. Ich würde eher zu leisen Tönen kommen.
Wo ich nicht überwältigt werde, sondern eher überrascht,
z.B. durch eine Stille, die reich gefüllt ist.
Wir fragen
unsere Interviewpartner am Ende unserer Gespräche immer nach
den Quellen Ihrer mentalen Kraft. Woher beziehen Sie Ihre Kraft?
Und inwiefern hat diese Kraft was mit Kirche zu tun?
Ich lebe aus zwei Quellen. Die eine,
die tiefere noch, ist die bayrisch-katholische Tradition, mit der
ich aufgewachsen bin. Da hatte ich großes Glück. Ich
bin in einer Familie und in einer Gemeinde groß geworden,
in der das Sinnliche, Mediale, das Gelebte alles sehr stimmig war.
Das hat etwas sehr Tragendes bis heute. Damit ist auch beantwortet,
was das mit Kirche zu tun hat. Nennen wir diese Quelle "Jerusalem",
als Sinnbild für die Heimat im Christlichen.
Die zweite Quelle wäre dann
sozusagen "Athen", als Sinnbild für das Denken und
Philosophieren. Die Beschäftigung mit den Dingen; das Erleben,
dass ein stimmiger Gedanke etwas Beglückendes hat. Das sind
meine beiden Quellen, aus denen ich mein Alltagsgeschäft betreibe:
Athen und Jerusalem.
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