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Text: Prof.
Dr. Rainer Bucher
Bild: photocase.com
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Prof. Dr. Rainer Bucher
ist seit 2000 Professor für Pastoraltheologie
an der Katholisch-theologischen Fakultät der Universität
Graz und derzeit dort Dekan. Er promovierte 1986 bei Elmar Klinger
(Würzburg) mit einer Arbeit über das Spätwerk
Nietzsches und 1996 bei Ottmar Fuchs über Prozesse der
Kirchenbildung in der deutschen katholischen Kirche der ersten
Hälfte des 20. Jahrhunderts. |
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Was geht und was nicht geht.
Zur Optimierung kirchlicher Kommunikation
durch Zielgruppenmodelle
I)
Religionen
organisieren sich sehr unterschiedlich. Das gilt selbst
für die katholische Kirche. Das frühmittelalterliche germanische
Eigenkirchenwesen war etwas anderes als die stolze Kirche des Hochmittelalters
und der Josephinismus des 18. Jahrhunderts etwas recht anderes als
die Papstkirche der Pianischen Epoche von 1850 bis ungefähr
1960. Die konkrete Sozialgestalt der Kirche hat epochale Wechsel
hinter sich. Es scheint so, als ob in unseren Breiten wieder einmal
ein solcher Wechsel bevorsteht, besser: sich gerade vollzieht.
Der Grund dafür
liegt außerhalb kirchlicher Verfügungsmacht: Religion
vergesellschaftet sich seit einiger Zeit grundlegend neu. Religiöse
Praxis wird, wie vieles andere, in die Freiheit des Einzelnen gegeben.
Innerhalb der Freiheitsgeschichte der Moderne geschieht das übrigens
ziemlich spät, lange nach der Freigabe beruflicher Selbstbestimmung
etwa und ungefähr zeitgleich mit der Verflüssigung der
Geschlechterrollen. Religion als das Verhältnis zur obersten
Macht und die Geschlechterrolle als das Verhältnis zum eigenen
Körper sind offenbar ausgesprochen prekäre Relationen
der menschlichen Existenz. Sie blieben lange massiv reguliert, nun
aber geraten auch sie in den Freiheitsspielraum des Einzelnen.
Besonders für
Katholiken und Katholikinnen ist das etwas ziemlich Neues. Sie wurden
noch bis in die 60er Jahre des 20. Jahrhunderts hinein von ihrer
Kirche fürsorglich geführt. Diese Versuche gibt es natürlich
auch heute noch, aber die Entscheidung, ob man ihnen folgt, liegt
nun beim Einzelnen. Für die katholische Kirche bedeutet das
eine revolutionäre Neukonstellation: Sie gerät in ihrer
konkreten Existenz plötzlich unter den Zustimmungsvorbehalt
ihrer eigenen Mitglieder und wurde von einer religiösen Schicksalsgemeinschaft
zu einer von vielen Anbieterinnen auf dem Markt von Religion und
Lebenssinn.
II)
Das hat folgenschwere Konsequenzen
für die kirchliche Kommunikation. Zwischen der Hierarchie
und den Gläubigen walten denn auch de facto – Angestellte
und Priester ausgenommen – nicht mehr Herrschaftsbeziehungen
zwischen Anweisenden und Ausführenden, sondern Tauschbeziehungen
zwischen Anbietern und Nachfragern. Man geht wegen spezifischer
Bedürfnisse in die Kirche, nicht mehr der Norm wegen –
und sei es das Bedürfnis nach Norm. Wenn die Gatter der „kirchlichen
Herde“ offen sind, ändert sich auch die Situation für
jene, die in ihnen bleiben: Sie tun es nämlich ab sofort freiwillig.
Das ist die unhintergehbare Rahmenbedingung kirchlicher Kommunikation
heute. Für die Kirche, gerade die katholische, ist sie ebenso
neu wie immer noch ein wenig ungewohnt.
Doch nicht nur dieser Machtverlust stresst
die Kirche. Mindestens genauso ungewohnt für sie: Die katholische
Kirche steht nicht einem, gar „dem“ modernen Milieu
gegenüber, sondern einer Vielzahl differenter Milieus mit unterschiedlichen,
teilweise konträren Erwartungen an sie. Schärfer noch:
Die Kirche selbst ist in das Spannungsfeld differenter Milieus geraten
und kann sich gerade noch, wie die Sinusstudie zeigte, auf drei
Milieuschollen halten, während die anderen schon mehr oder
weniger weit aus ihrer Reichweite abgedriftet sind. Diese unterschiedlichen
Milieus, wie immer man sie sozialwissenschaftlich „schneidet“,
repräsentieren ästhetisch-lebenskulturelle Vergemeinschaftungs-
und Orientierungsmuster und stellen an Religion (und Kirche) höchst
differente, teilweise konträre Ansprüche. Offenkundig
gelingt es etwa der katholischen Kirche nur noch in wenigen, näherhin
in den eher konservativ-(klein-)bürgerlichen dieser Milieus,
halbwegs dauerhaft präsent zu sein.
Sozialpsychologisch drohen in solchen Entmachtungs-
und damit Demütigungskonstellationen zwei fatale, in sich scheinbar
konträre Reaktionsweisen: Zielgruppenopportunismus und reaktive
Selbsteinschließung. Beide versprechen das Gleiche: die Schmerzen
des Umbaus zu lindern. Das eine Mal, weil man hofft, den eigenen
Depotenzierungsprozess durch Zielgruppenmarketing stoppen zu können,
das andere Mal, indem man die eigene Demütigung durch Denunziation
der verstockten Außenwelt kompensiert. Beides ist irgendwie
verständlich, aber eben auch fatal. Freilich sind die Dinge
komplizierter, als man auf den ersten Blick meinen könnte.
Vor allem, weil die Kirche keine Produkte verkauft und doch auf
ihre Adressaten existentiell angewiesen ist.
III)
Es fällt vielen in der Kirche
schwer zu akzeptieren, dass die Kirche auf den Markt und damit unter
die Marktmacht der Kunden geraten ist. Diese Position gibt
es übrigens in einer konservativen, institutionsstolzen wie
in einer progressiven, kapitalismuskritischen Variante. Und es stimmt
ja: In ihrem Selbstverständnis ist das, was Kirche anzubieten
hat, kein beliebiges, gar austauschbares „Produkt“.
Diese Abwehrreaktion ist also durchaus verständlich.
Zumal das Christentum in seiner langen Geschichte noch kaum Erfahrungen
mit einer solchen Marktsituation hat, sein kollektives Gedächtnis,
besser: seine konfessionsspezifischen kollektiven Gedächtnisse
erinnern eben eher Macht- als Marktkompetenzen. Das Christentum
ist seit langem, spätestens seit der „Konstantinischen
Wende“ des 4. Jahrhunderts gewohnt, sich im Wesentlichen über
gesellschaftliche Herrschaftsprozesse zu realisieren. Übrigens
mit einer bemerkenswerten Ausnahme, der man meistens das Gegenteil
zuschreibt, manchmal zu Recht, aber eben bisweilen auch zu Unrecht:
der Mission.
Theologisch ist es erst einmal überhaupt
kein Problem, dass die Kirche in die Ohnmachtsposition der Kundenabhängigkeit
geraten ist. Mit Blick auf ihren Gründer, Jesus, der bekanntlich
in einer dramatischen Ohnmachtssituation starb, ist dies eigentlich
sogar die kirchliche Normalposition. Was ist dann aber das Problem?
Dass natürlich stimmt: Die Kirche verkauft tatsächlich
keine „Ware“. Sie verkauft überhaupt nichts, denn
der Kern ihrer Botschaft ist kostenlos, oder im theologischen Jargon
gesagt: Gnade. Was sie zu kommunizieren hat, ist Gottes Gnade, näherhin:
Gottes Gnade als Voraussetzung der Umkehr.
Ob sie das tut, darüber hat die Kirche
nicht zu entscheiden. Das ist ihr vorgegeben, sie kann über
nichts anderes reden, sich für nichts anderes einsetzen –
zumindest solange sie sich auf Jesus Christus berufen will. Theologie
übrigens gibt es, um darüber zu streiten, ob sie in dem,
was sie tut, genau dies tut. Da es in diesem Streit um ziemlich
viel geht, wird er auch bisweilen so hart geführt. Die Kirche
kann nicht ihr Produkt einfach modifizieren, wenn es nicht mehr
absetzbar ist, und sie kann es auch nicht einfach milieuspezifisch
designen, wie Autokonzerne ihre PKWs länderspezifisch auslegen.
Nun spräche das erst einmal für
die stolze Nicht-Anpassung an „Zielgruppenmilieus“.
Wenn nicht der Kirche nun ausgerechnet das dazwischenkäme,
was ihrer Veränderungskompetenz entzogen ist und auch den Rezeptionswünschen
der Adressaten: die eigene Botschaft. Ausgerechnet sie verweist
die Kirche weg von sich auf jene, mit denen sie es zu tun hat, auch
und gerade, wenn sie nicht zu ihr gehören.
Es ist nämlich christlich, vielleicht
sogar spezifisch christlich, dass in der eigenen Botschaft die ZuhörerInnen
eine doppelte Rolle spielen. Sie sind ihre AdressatInnen, aber auch
ein wesentlicher Teil ihres Inhalts. Denn die christliche Rede vom
gnädigen Gott, der unsere Erlösung will, auch jene von
unseren eigenen kleinen Erlösungsvorstellungen, spricht nicht
auf von irgend einem radikal transzendenten Gott ohne Nähe
zu uns, sondern sie redet vom befreienden Gott der Menschen, genauer
sogar: vom befreienden Gott dieser konkreten Menschen heute.
Mit anderen Worten: Die „Zielgruppen“
christlicher Verkündigung sind Teil ihres Inhalts. Nicht der
einzige, denn dann hätte christliche Verkündigung nichts
wirklich Neues zu sagen, aber ein wichtiger. Denn der christliche
Gott ist kein beziehungsloser Gott irgendwo, sondern jener Gott,
der diese konkreten Menschen erlösen will, erlösen kann
und erlöst. Die Kirche kann also gar nicht „ihren“
Gott an jenen Menschen vorbei verkünden, an die sie sich wendet.
Denn sie hat ihn ja als deren Gott zu erweisen.
Wenden aber muss sich die Kirche an alle,
und auch das wegen ihrer Botschaft. Denn Gottes Heilswillen ist
universal und reicht im Übrigen auch weiter als die Kirche
und ihre Kommunikationsmöglichkeiten. Die Kirche ist auf den
Gott Jesu verpflichtet, der aber ist der Gott aller Menschen und
will das Heil aller. Und deshalb braucht die Kirche „Zielgruppenkenntnisse“.
Nicht, um ihre Botschaft zu adaptieren, sondern um mit allen Kulturen
heute, den globalen wie den lokalen, gemeinsam auf die Entdeckungsreise
zu gehen, was es denn bedeuten könnte, an diesen Gott des Jesus
zu glauben. Die Kirche weiß das nämlich nicht von vorneherein,
wenn sie auch manchmal so getan hat. Sicher: Sie hat bestimmte Erfahrungen
in diesen Entdeckungen, sie sind in Theologie und Frömmigkeit,
christlicher Kunst und auch in den Dogmen festgehalten. Aber welches
Lebens sie heute aus sich entlassen, das muss immer neu entdeckt
werden.
„Freude und Hoffnung, Trauer und Angst
der Menschen von heute, besonders der Armen und Bedrängten
aller Art, sind auch Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Jünger
Christi“ (GS 1). So beginnt das markanteste Dokument des letzten
großen Konzils. Das Leben des Christen und jenes der Kirche,
sie sind keine triumphalen Siegesgeschichten, sondern immer ziemlich
gewagte Entdeckungsgeschichten dessen, woran man zu glauben hofft.
Was sie wert sind, wird sich erst herausstellen, das christliche
Dogma dafür ist die „Lehre von den Letzten Dingen“.
IV)
Das
Zentrum des Christentums ist der Glaube, dass sich Gott
in Jesus von Nazareth in seiner Liebe für uns erniedrigt hat,
dass er Mensch geworden und bis in den Tod hinab gestiegen ist,
nur zu einem Zweck: um allen Menschen eine Chance auf Erlösung
zu geben. Unsere Antwort darauf aber soll sein, den gleichen Weg
zu gehen, den Weg der Nächstenliebe und der Demut, der Hoffnung
und der Liebe, denn das ist der Weg zum Leben, zu uns, zu Gott.
Die Kirche und
alle und alles in ihr haben allein einen Zweck: diese Geschichte,
diese Wahrheit, diese Erfahrung zu verkünden. Sie tut es in
der Geschichte der Menschheit und also unter den Bedingungen menschlicher
Existenz, in der Sündhaftigkeit, die nie weicht, und in der
Unvollkommenheit unserer sozialen Verhältnisse und institutionellen
Strukturen.
Die Kirche hatte
ihre Aufgabe unter den Bedingungen der spätantiken religionspluralen
Gesellschaft ebenso zu erfüllen wie im feudalen Mittelalter,
als sie ein Teil der gesellschaftlichen Macht war, und sogar der
entscheidende. Und sie hat sie heute zu erfüllen, wo sie wieder
entmachtet wurde und tatsächlich auf den (religiösen)
Markt gekommen ist.
Das braucht sie
überhaupt nicht zu bedauern. Es steht sowieso nicht in ihrer
Verfügungsgewalt, in welchem Kontext sie den Gott Jesu zu verkünden
hat. Sie muss sich einfach darauf einstellen. Der Markt hat außerdem
viele Vorteile für die Religion, vor allem beraubt er sie der
selbstverständlichen Herrschaft über die Einzelnen und
das tut ihr nur gut. Auch macht er möglich zu kontrollieren,
ob Behauptung und Inhalt, Personen und Botschaft halbwegs übereinstimmen
– und auch das ist nur gut. Der Markt hat aber auch viele
Nachteile: Zum Beispiel neigt er zu Unverbindlichkeit und Konsumhopping,
das ist in den wichtigen Dingen des Lebens aber selten ratsam. Und
er hat eine merkwürdige Tendenz zum Niveauverlust.
Vor allem aber
verführt er dazu, sich um des Markterfolgs willen zu radikalisieren.
Auf den globalen Märkten des Glaubens gewinnen die Anhänger
von angeblich ganz besonders „rechtgläubigen“,
in Wirklichkeit aber nur latent oder offen gewalttätigen Religionsvarianten
an Boden. Diese Form der globalen religiösen Markenbildung
wird uns noch viel zu schaffen machen.
Die katholische
Kirche und überhaupt das Christentum hat sich zu profilieren,
aber eben damit, womit sich etwa Johannes Paul II weltweit profiliert
hat und was im Konzil grundgelegt wurde: mit der Stimme der Menschenrechte,
mit dem Glauben an einen Gott, dessen Heiliges nicht die eigene
Macht, sondern die eigene Ohnmacht um der Liebe willen ist, und
sie hat sich zu profilieren mit der konkreten Tat für all das.
Dafür
hat sie zu stehen. Welche Zielgruppe sollte das nicht brauchen?
nach oben
Literaturhinweise:
R. Bucher,
Die Provokation annehmen. Welche Konsequenzen sind aus der
Sinusstudie zu ziehen?, In: HerderKorrespondenz 60 (2006) 450-454
Ders., Die Provokation der Krise.
Zwölf Fragen und Antworten zur Lage der Kirche, 2. Aufl.
Würzburg 2005
Ders., Neuer Wein in alte Schläuche?
Zum Innovationsbedarf einer missionarischen Kirche, in: M. Sellmann
(Hrsg.), Deutschland Missionsland? Zur Überwindung eines pastoralen
Tabus, Freiburg/Br. 2004 (Quaestiones disputatae 206), 249-282
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