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Text: Dr. theol.
Manfred Becker-Huberti |
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Dr. theol. Manfred Becker-Huberti,
hat Katholische Theologie, Kommunikations-wissenschaften und
Publizistik studiert und war Stipendiat des Instituts zur Förderung
publizistischen Nachwuchses der Deutschen Bischofskonferenz.
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„Kann die Katholische Kirche
von moderner Markenführung lernen?“
Milieuforschung und Pastoral
Die Art, wie Kirche ihre Botschaft auf Zielgruppen
hin ausgestaltet, kann man mit einem Jäger beschreiben, der
mit einer Schrotflinte in der Hand eine Elefantenherde erlegen soll.
Handlung, Methodik und Gerätschaft sind völlig unangebracht,
um das vorgegebene Ziel zu erreichen. Die Herde wird den lästigen
Jäger zertrampeln. Diese – zugegeben - etwas spöttische
Beschreibung pastoraler Arbeit trifft zu, weil eine zielgruppenorientierte
Arbeit bislang so gut wie gar nicht stattfindet; dafür fehlen
schlicht die objektiven Basisdaten. Die Daten, über die die
Kirche selbst verfügt, sind weder aktuell genug noch geeignet.
Sie sind bloß demografisch. Und sie liegen den meisten Gemeinden
nicht vor. Die Priester in der Ausbildung, die ich über viele
Jahre mitbetreut habe, haben so gut wie nie eine Gemeinde-Analyse
zu Ge-sicht bekommen! Schlimmer noch: Kontaktstunden in den Schulen
werden von Priestern mit dem Argument verweigert: Wieso soll ich
mit denen herumschlagen, die nichts mit mir zu tun haben wollen?
Ich warte in meiner Gemeinde auf die, die zu mir kommen wollen!
Dies darf nicht das Grundmuster der Pastoral sein. Es wäre
Verrat am Missionsauftrag.
Warum wird Zielgruppenarbeit bislang
in der Pastoral kaum praktiziert?
Grund ist ein Missverständnis zwischen
einer phänomenologisch agierenden Pastoral und sozialwissenschaftlichen
Instrumentarien, die von der anderen Seite ausschließlich
als Marke-ting-Instrumentarium gesehen und verabscheut werden. So
arbeitet man nicht. Bedarforientierung klingt da Bedarfbefriedigung.
Wo bleibt da die ganze Botschaft? Darf man die denn „halbieren“,
um die zu erreichen, die die ganze Botschaft nicht haben wollen?
Entscheidet letztlich Gott, ob die Mission fruchtet? Kann sich der
Pastor nicht einfach auf das Aussäen der Botschaft beschränken
und Gott lässt wachsen – oder eben verdorren?
Nun kann man im Neuen Testament sehr genau
nachlesen, dass Jesus von Nazaret und seine Apostel das, was sie
zu sagen hatten, sehr genau auf die Zielpersonen abzustimmen in
der Lage waren. Das pfingstliche Sprachwunder wäre im übrigen
nicht nötig gewesen, hätten sich die Jünger auf die
Position zurückgezogen, wer Christ werden wolle, müsse
erst Jude werden und aramäisch lernen. Wer käme heute
auf die Idee zu fordern, wer Priester werden wolle, müsse sich
einen Bart wachsen lassen und den Beruf eines Fischers erlernen?
Pastorale Zielgruppen zu kennen und ihren
– bewussten und unbewussten – Bedarf zu kennen, verstößt
zunächst einmal überhaupt nicht gegen die pastorale Moral.
Genau so wenig wie die Formulierung der Botschaft auf die Zielgruppe
hin: Den Römern römisch, den Griechen griechisch, den
Kindern verstehbar, den Erwachsenen annehmbar und aktualisiert in
den Alltag hinein.
In diesen Zusammenhang ist pastorale Planung
zu stellen. Wer eine Pfarrei leiten will, muss wissen, wer zu ihr
gehört, was er von der Kirche erwartet. Und die Kirche muss
wissen, was sie tun muss, wie sie es tun kann und wie sie Angebot
und Nachfrage in eine konstruktive Be-ziehung bringt.
Was für die gesamte Gemeinde gilt, gilt
auch für ihren Mikrokosmos: den Kindergarten, die Jugendarbeit,
Familienkreis, Seniorengruppe, Bücherei usw. Und es gilt für
den Makrokosmos: Verbände, Medien, Bischofskonferenz usw. dürfen
nicht bloß auftraggeberorientiert agieren, sondern müssen
Auftrag und Erwartung miteinander fruchtbar werden lassen.
Was heißt das?
Im Regelfall wird eine Gemeinde primär
von den alten Milieus geprägt, die sich in zwanzig bis dreißig
Jahren aufgelöst haben. Um die Zukunft gestalten zu können,
muss die Gemeinde wenigstens die Bürgerliche Mitte ansprechen
und zum Mittun motivieren. Das kann die Gemeinde nicht, wenn sie
nicht die Erwartungen dieses Milieus kennt. Hat sie aber die Erwar-tungen
kennen gelernt, kann sie Auftrag und Bedarf, Sendung und Erwartung
koordinieren.
Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit
wird es dabei nicht gelingen, mittelalterliche Mystiker zu reanimieren,
vielleicht aber wird es möglich, katholischen Glauben heute
zu leben. Und wenn nicht alle Hoffnungen der Absender aufgehen,
kann man sich ein Stufenmodell vorstellen, über das man die
Zielgruppe langsam dorthin führen kann, wohin man meint sie
führen zu müssen. Auch im Mittelalter waren – Laien
wie Kleriker – nicht zu einhundert Prozent die Christen, wie
die damalige pastorale Theorie sie sich wünschte.
Was führt weiter?
Zurzeit brauchen wir transparente Modelle
von Gemeinden, die Zielgruppenorientiert arbeiten. Wir brauchen
sie, um festzustellen, wie man Gemeindarbeit umformen muss, um die
Menschen zu erreichen, die wir für die Zukunft der Kirche unverzichtbar
brauchen.
Eine Modellhandbuch, eine Modellbörse,
ein Ort des Austauschs wäre sinnvoll, wo die Ex-perten und
solche, die es werden wollen, Ideen, Experimente, gelungene Strategien
diskutieren und austauschen können.
Dies alles gilt unter der Voraussetzung,
dass die Kirchenführung nicht hergeht und unerreichbar hohe
Sprunghöhen voraussetzt. Wenn z.B. der regelmäßige
sonntägliche Gottesdienstbesuch mit Eucharistie-Empfang und
die kritiklose Akzeptanz jeder hierarchischen Vorgabe die Voraussetzung
für Vollmitgliedschaft in einer Gemeinde ist, wird die Anzahl
der Zugehörigen sehr überschaubar.
Die verwaltete Gemeinde, die pastoral vor
sich hin dümpelt, könnte wieder zu seinem spannenden Feld
werden, in dem man Menschen entdecken, begeistern und einbinden
kann. Die gewandelten Vorstellungen und Verhaltensweisen, veränderte
Lebenszielsetzungen müssen nicht kontraproduktiv sein.
Was Not tut sind Christen, die sich wieder
auf den Weg machen. Jesus ist im Gleichnis dem einen Schaf von Einhundert
nachgegangen, das sich verlaufen hat. Verpflichtet uns das heute
etwa nicht, den mehr als 85 Prozent nachzugehen, die den Weg in
unseren „Stall“ nicht mehr finden?
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