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Im Interview:
Prof. Dr. Wolfgang Stock
Foto: photocase.de
 

 

 
   
Prof. Dr. Wolfgang Stock, war zwei Jahrzehnte lang Top-Journalist, unter anderem FAZ-Korrespondent in Bonn. Heute lehrt er über Kommunikation an der (katholischen) Gustav-Siewerth-Akademie in Weilheim (Schwarzwald) und der Europauniversität Viadrina (Frankfurt) und berät als Partner der Firma RCC Public Affairs große Unternehmen in Medienfragen. Jüngst wurde er als Verantwortlicher für das Video-Podcast der Bundeskanzlerin bekannt.  
   

 

  Kirche fehlt in der quoten-bringenden
TV-Unterhaltung

Interview mit Prof. Dr. Wolfgang Stock

Prof. Dr. Wolfgang Stock war zwei Jahrzehnte lang Top-Journalist, unter anderem FAZ-Korrespondent in Bonn. Heute lehrt er über Kommunikation an der (katholischen) Gustav-Siewerth-Akademie in Weilheim (Schwarzwald) und der Europauniversität Viadrina (Frankfurt) und berät als Partner der Firma RCC Public Affairs große Unternehmen in Medienfragen. Jüngst wurde er als Verantwortlicher für das Video-Podcast der Bundeskanzlerin bekannt.

 

Wie nehmen Sie die beiden Volkskirchen im Fernsehen wahr? Nehmen Sie sie überhaupt wahr?

Professor Stock Ja, Kirche ist wieder wahrnehmbar geworden, und das ist wichtig: Denn der Missionsauftrag der Kirchen – und jedes einzelnen Christen – lässt sich in einer Mediengesellschaft überhaupt nur durch Medien wie das Fernsehen erreichen.

Unter diesem entscheidenden Blickwinkel muss ich meine Antwort daher sogleich einschränken: allerdings sind die Kirchen keinesfalls ausreichend wahrnehmbar. Im angeblich informierenden Bereich des Fernsehens, also dem Spektrum von Nachrichten bis zu Talkshows à la Christiansen, sehe ich die beiden großen Kirchen derzeit recht gut vertreten: durch den Papst und TV-gerechte evangelische Bischöfe wie Huber und Käsmann. Diese können die Position ihrer Kirchen und vor allem auch die frohe Nachricht des Evangeliums in diesem – freilich kleinem – Segment des Fernsehens gut verbreiten.

Fehlt Ihnen Kirche in der TV-Darstellung?

Sehr oft! In meiner Aufzählung fehlten eben bereits die deutschen katholischen Bischöfe. Ich sehe derzeit keinen, der so profiliert wäre, dass er nach einem Auftritt etwa bei "Christiansen" anschließend von Freund und Feind als Gewinn der Diskussion angesehen würde.

Außerdem dürfen wir nicht vergessen, dass es zwei Sphären im Fernsehen gibt: den unterhaltenden Teil und den informierenden. Letztere ist klein und wird, auch im öffentlich-rechtlichen, immer kleiner. Wirklich prägend ist daher der brutal quoten-orientierte Unterhaltungsteil. Und dort fehlt die Kirche und ihre Lehre total. Es ist erschreckend: In einem Land wie Deutschland, in dem zwei Drittel zu einer christlichen Kirche gehören und etwa zehn Prozent der Menschen vor dem Essen beten, findet man selbst im öffentlich-rechtlichen Fernsehen keine Fernsehserie, in der wenigstens eine Person erkennbar christlichen Glauben praktiziert.

Selbst das Familien-Leitbild – in erster Ehe verheiratetes, zusammenlebendes, heterosexuelles Paar mit Kindern – ist bereits absolute Mangelware! Das Grimme-Institut hat jüngst erschreckende Zahlen über das aus den TV-Serien ableitbare Frauen-Leitbild des deutschen Fernsehens veröffentlicht: Da geht es nicht mehr um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf – Familie wird praktisch nicht mehr vermittelt.

Was muss Kirche tun?

Fernsehen, und zwar dessen unterhaltender Teil, ist für die riesige Mehrheit auch unserer Gesellschaft zur werte-prägenden Kraft geworden. Wenn die Kirchen es nicht schaffen, hier mit der frohen Botschaft und den dazugehörigen Leitbildern erkennbar zu werden, versagt ihre gesellschaftliche Kommunikation. Predigten, auch gesendete, oder Kirchenwochenzeitungen reichen heute nicht.

Wer nicht im Fernsehen ist, den gibt es in der Realität nicht. Es fehlt derzeit die Kraft und der politisch-gesellschaftliche Einfluss – oder auch Macht – beider großer Kirchen, sich im Sinne ihres Auftrages durchzusetzen. Das ist umso erstaunlicher, als die Kirchen ja im öffentlich-rechtlichen Fernsehen mit Aufsichtsräten vertreten sind. Was diese dort machen, ist mir ehrlich gesagt ein Rätsel...

Im Sinne eines Martin Luther müssten sie doch in jeder öffentlich-rechtlichen Gremien-Sitzung aufstehen und fordern, dass die virtuelle TV-Welt zumindest der Realität entspricht – also wenigstens die Hälfte aller Darsteller halbwegs als Christen erkennbar sind.

Wie wirken die Protagonisten der Kirche, wenn sie im TV zu sehen sind, ob in einer Talkshow, Serie, Doku, im Krimi oder sonst wo?

Ich finde es bemerkenswert, dass die evangelischen Landeskirchen mit den Bischöfen Huber und Frau Käsmann zwei sehr gut wahrnehmbare, artikulationsfähige und sympathisch erscheinende Führungspersönlichkeiten besitzen. Das ist eine sehr gute Ausgangsposition für die Zukunft.

Die katholische Kirche hat dort eher ein Problem: die wenigsten ihrer Bischöfe sind willens, im Fernsehen aufzutreten und Flagge zu zeigen, und nicht jeder der wenigen, den ich dort gesehen habe, würde ich als hilfreich ansehen.

Konstruktiv ausgedrückt: Die katholische Kirche in Deutschland muss sich klar werden darüber, dass sie mindestens einen gut wirkenden TV-Protagonisten benötigt, um gesellschaftlich in die Breite wirken zu können. Es reicht nicht, wenn der Papst mit der christlichen Theorie gesendet wird – die Zielgruppe braucht auch die durch einen deutschen Bischof vermittelte TV-Gewissheit, dass es einen Ansprechpartner in der Kirche vor Ort gibt.

Kommt Kirche für viele, gerade Jugendliche, nicht biedern und altbacken daher, zum Beispiel mit dem „Wort zum Sonntag“?

Bieder und altbacken wäre mir ehrlich gesagt viel lieber als die oft gehörten Geschichten aus dem Alltag, in denen ich Wort und Lehre von Jesus Christus vermisse. Ich sehe hier einen grundlegenden Fehler, und zwar sowohl aus theologischer Sicht als auch aus der von Kommunikations- oder Werbeprofis: Die Kirche Jesu Christi muss von ihrem einzigartigem Vorbild reden, von Jesus, dem
Auferstandenen.

Das ist der kirchliche Auftrag, das ist aber auch die Forderung aus werblicher Sicht – den USP – unique selling proposition – herausstellen. Unter diesen beiden Gesichtspunkten – und jeder alleine
reicht bereits! – dürften viele Wörter zum Sonntag nicht gesendet werden...

Welche der beiden großen Kirche kommt Ihrer Meinung nach im TV besser weg, welche ist stärker präsent und warum?

Keine der Kirchen kommt halbwegs im Unterhaltungsteil ausreichend vor – das ist leider das entscheidende. Wenn Kirche im gesellschaftlichen Leitmedium Fernsehen nicht erkennbar ist und dieses nicht prägen kann, steht sie in der Mediengesellschaft auf langfristig verlorenen Posten!

Warum glauben Sie haben Ereignisse wie die Wahl von Benedikt XVI und der Weltjugendtag im letzten Jahr eine so starke Medienwelle ausgelöst?

Weil die Menschen sich nach Vorbildern, nach Wert- und Sinnvermittlung sehnen. Selbst wenn sie diesen Vorbildern und deren Werten nicht sofort oder nicht vollständig folgen – sie suchen danach.

Wie kann Kirche diesen „Spirit“, diese Euphorie am Leben erhalten und für sich auf lange Sicht nutzen?

Indem sie Zielgruppen spezifisch und mit den richtigen, das heißt heute: fernsehtauglichen Gesicherten anspricht – wie schon die Apostel "den Griechen ein Grieche, den Juden ein Jude" waren – aber in der "Message" klar, unverfälscht und eindeutig bleiben!

Als vor einigen Jahren sich die deutschen Bischöfe zur Herbstkonferenz zusammen trafen, wurde darüber kaum berichtet. Als Kardinal Dyba auf dieser Veranstaltung fast von einem Blitz getroffen wurde, berichteten alle großen Sender darüber. Was sagt das Ihrer Meinung nach über die kirchliche Presse- und Öffentlichkeitsarbeit und das Agenda-Setting aus? Was kann Kirche daraus für ihre TV-Öffentlichkeitsarbeit lernen?

Nachrichten "verkaufen" sich heutzutage fast nur noch personalisiert. Das aber ist vielen katholischen Würdenträgern ein Greuel – was sie sehr sympathisch macht. Aber dennoch müssen wenigstens ein oder zwei von ihnen über ihren Schatten springen und TV-Bischöfe werden! Bischof Dyba war auch insofern berichtenswert, weil er in einem aufrecht-auffälligen Sinne Rom-treu war. Das war berichtenswert...

Wie beurteilen Sie generell die kirchliche Öffentlichkeitsarbeit, speziell gegenüber den TV-Sendern?

Ich habe keine Einblicke in die Strukturen, ich kann nur vom Ergebnis ausgehen. Und das betrachte ich als erschütternd – bei den beiden großen Kirchen, weil sie trotz Größe, Macht (Fernsehräte) und Kirchensteuern sehr wenig erreichen. Und bei den sehr erfolgreichen kleinen und freien Kirchen, weil sie trotz ihrer Erfolge in den Gemeinden medial nicht wahrnehmbar sind.

Was muss in der kirchlichen TV-Darstellung und Öffentlichkeitsarbeit dringend besser werden?

Wenn in unserer hoch spezialisierten Gesellschaft kommunikative Schlüsselfunktionen in Zweit- oder Drittverwendung wahrgenommen werden, wenn also ein Bischof oder Pfarrer nebenbei noch Medienarbeit macht, dann kann das nicht gut gehen.

Was würden Sie den beiden großen Kirchen in punkto TV empfehlen?

Zunächst: Den Mut finden, sich den Herausforderungen der Mediengesellgesellschaft zu stellen. Dann: Spezialisten engagieren, um die frohe Nachricht von Jesus Christus zielgruppenorientiert und mediengerecht verbreiten zu können – das muss nicht viel Geld kosten – es gibt genügend Christen, die dies als Berufung empfinden würden.

Glauben Sie?

Selbstverständlich, an den dreieinigen Gott der Bibel.

Sind Sie in der Kirche?

Ja, ich bin mit meiner Familie Mitglied der selbstständig evangelisch-lutherischen Kirche – SELK – und sehr glücklich dort.

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