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Text: Dr. Herbert Lauenroth
Foto: Massimo Sambucetti, Associated Press |
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Dr. Herbert Lauenroth
ist Bildungsreferent am Ökumenischen Lebenszentrum Ottmaring
(bei Augsburg), freier Autor und Übersetzer. |
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Die letzten Bilder des schwerkranken
Papstes,
Ostern 2005 |
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The Screaming Popes
von Francis Bacon |
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Drama des Sichtbaren, Drama des Unsichtbaren
Das Sterben des Papstes
als „Wunder“ des Ikonographischen.
Eines der bekanntesten Werke
des Kulturphilosophen Siegfried Kracauer zur Theorie des Films trägt
den Titel „Die Errettung der äußeren Wirklichkeit“.
Diese von geradezu religiösem Pathos getragene Formulierung
trifft die ästhetische (und ethische) Praxis der Moderne in
einem zentralen Aspekt: Die sogenannte „äußere
Wirklichkeit“ – das amerikanische Original spricht hier
von „physical reality“ – ist nicht mehr
fraglos gegeben, ist nicht mehr von unbestreitbarer Evidenz. Vielmehr
bedarf sie einer reflexiven Brechung, einer Bild- oder Blick-Werdung,
der umwegigen Konstitution, um in Erscheinung zu treten.
Wie im Hinblick auf Johannes Paul II. Der
Mann aus Polen wird als „Papst der Medien“ in Erinnerung
bleiben. Gerade in den letzten Jahren seines Pontifikates, den Jahren
einer fortschreitenden Krankheit, verlieh der Papst seinem Erscheinungsbild
eine unverwechselbare und nachhaltige Prägung: als Drama einer
Innerlichkeit, das sich in seiner zur Kenntlichkeit entstellten
Form des Körperlichen zeigte, also gewissermaßen in diesem
Entzug zur Erscheinung kam.
Für den italienischen Philosophen
Massimo Cacciari erschließen sich diese Antinomien
und paradoxen Erfahrungshorizonte einer (Nach-) Moderne im Rückgriff
auf die Problematik der Ikone, die er nicht mehr als „Fossil“
einer religiösen Tradition, sondern als das vielleicht wichtigste
Medium einer ästhetischen und theologischen Reflexion verstanden
wissen will: Die Form der Ikone ist antinomisch, weil die Wahrheit
ihrer Darstellung antinomisch ist. Wenn sich in der Ikone ein Maß
der Vereinigung von Sichtbarem und Unsichtbarem, von dieser und
der anderen Welt zeigen soll, also die Realität in ihren beiden
Seiten, so muß die Absolutheit der Wahrheit in ihrem eigenen
Wesen das Wesen ihrer Negation annehmen können, sie muß
ihre Bejahung und Verneinung enthalten.(1)
Diese „Antinomie“ der Ikone,
die sie durchquerende Spannung von Sichtbarem und Unsichtbarem,
Menschlichem und Göttlichem, der Riss, der sie durchzieht und
zur eigentlichen Geschlossenheit ihrer Darstellung befähigt,
korrespondiert hier mit der Erfahrung einer (nach-)modernen Vernunft,
ihren Gottes-, Menschen- und Weltbildern, die ihre Einheit aus der
– zuweilen „drastischen“ – Widerspiegelung
einer Nicht-Identität gewinnen.
* * * * *
Die letzten Bilder des schwerkranken
Papstes an Ostern 2005, sein scheiternder Versuch, ein
Wort an die Menschen zu richten, lassen sich mit Cacciaris Begriffsangebot
zweifellos als Verkörperung einer „ikonischen Antinomie“,
einer im Leiden durchaus auch leidenschaftlichen Des-Artikulation
seines Körpers verstehen – etwa als Verwindung des political
und des physical body.(2)
Zudem erinnern diese Aufnahmen auch an die Serie der Papstbilder,
die Francis Bacon bereits in den fünfziger Jahren als signifikante
Entstellung jener Darstellung von Papst Innozenz X. im 17. Jahrhundert
durch Diego Velasquez konzipiert hat. Bacons Serie The Screaming
Popes nehmen die Osteraufnahmen Johannes Pauls II. auf geradezu
gespenstische Weise vorweg bzw. schreiben sie in ihrer vermeintlichen
Singularität und Beispiellosigkeit einer Logik der Wiederholung
ein, bei der das Leben die Kunst imitiert: als befremdliche „Retroaktion“,
in der das Zeichen – oder hier: ein unbestimmbarer Blick –
die Wirklichkeit affiziert.
Bei Bacon dominiert ein geradezu unerträglicher
Antagonismus zwischen dem Betrachter und dem schreienden, verzweifelt-wütenden
Papst, der sich gegen seine vom Blick des anderen (Malers, Zuschauers)
fixierte Rolle als Gegenstand der Darstellung wehrt. Ein Bild aus
der Serie zeigt den Pontifex im gläsernen Käfig –
Symbol einer ebenso offensichtlichen wie undurchdringlichen Selbst-Einschließung
oder Bilder-Haft. Bacon hat diesen Antagonismus als das eigentlich
kreative Moment seiner Arbeit bezeichnet. Die Darstellungswut des
Malers, seine blasphemische, antipäpstliche Haltung entlädt
sich an der Oberfläche der Bilder. Er bietet alle Materialien
und Maltechniken auf, um dem Bild jede Tiefe und mögliche Geheimnisse
zu entreißen. Bacons Bilder sind drastische Interventionen
eines unsichtbaren Blickes, der sich in der Zurichtung, der entgleisenden
Pose des Souveräns im Wortsinne de-monstriert, also
das Monströse dieser seiner Monstration zur
Geltung bringt. In dieser Hinsicht wird der Papst – bei Bacon
wie an Ostern – zum Erblickten, doch zugleich auch
zur Verkörperung dieses ihn durchbohrenden Blickes,
dem hasserfüllten Blick des äußeren Betrachters
oder dem ominösen „Auge Gottes“, dem Dispositiv
eines allgegenwärtigen – gott-gleichen oder gott-losen
– Blicke(n)s.
* * * * *
Die beleuchteten Fenster der päpstlichen
Gemächer im Apostolischen Palast lassen diese antinomische
Wahrheit des öffentlich inszenierten Leidens und Sterbens in
den ersten beiden Aprilnächten noch einmal auf andere Weise
deutlich werden: das von innen aufstrahlende Licht, dessen Quelle
unsichtbar bleibt, weist die beiden Fenster als Projektionsfläche
und begrenzende Rahmung einer Sichtbarkeit aus, bei der sich In
und Off, bergende Nähe und weitende Öffnung,
Transparenz und Opazität zur Anmutung ihres geheimnisvollen,
paradoxen Zusammenhangs durchdringen:
Die Ikone, so Cacciari, ist ein Fenster, das sich restlos
dem „Quellgeheimnis“ öffnet, das sich aber eben
dem Geheimnis als Geheimnis öffnet. Sie ist Märtyrerin
des Geheimnisses und nicht der Entschleierung des Geheimnisses.
Das Geheimnis erklärt sich nicht, und es enthüllt sich
nicht, und es hört daher niemals auf, Geheimnis zu sein –
aber man sieht es, wie es sich sehen lässt: Das Geheimnis ist
das Licht, das zu sehen ermöglicht, es ist die Bedingung des
Sehens als theoria.(3)
Geheimnis als secretum, als Erfahrung einer Abgeschiedenheit,
einer privacy oder Privation, eines öffentlich-medienwirksamen
Entzugs an Öffentlichkeit, bildhafte Hinterlassenschaft eines
bildlosen Innenraumes, der doch in seiner Innerlichkeit noch das
ihm Äusserlich(st)e und immer schon Vorgängige, sein lichtsymbolisches
„Quellgeheimnis“ in sich trägt; Geheimnis eines
Fensters, das die Blicke nach innen zieht, und nur in dieser eigentümlichen
Sogwirkung auch Fenster zur Welt ist: „Ich kann
mich von jemandem angeblickt fühlen, von dem ich nicht einmal
die Augen und die Erscheinung sehe“, formuliert Jacques
Lacan. „Es genügt, dass etwas mir anzeigt, dass der
andere da sein kann. Wenn ich Gründe habe, anzunehmen, dass
sich jemand dahinter verbirgt, ist dieses Fenster immer schon ein
Blick.“(4)
Geheimnis einer luminosen Leere, die nicht das absolute Nichts
bedeutet, sondern der eine „offenbarende, schenkende epiphanische
Potenz“ innewohnt.
* * * * *
Was aber, so ließe sich fragen, „schenkt“
oder „gewährt“ diese „Potenz“? Sie
bezeichnet einen Verlust, der eine neue, zuvor verborgene Mitte
erschließt; die Mitte einer Solidargemeinschaft, die sich
im Zeichen dieses Verlustes – damals, zunächst spontan,
auf dem nächtlichen Rund des Petersplatzes – konstituierte.
Im Herzen der römischen Weltkirche wurde in jenen Apriltagen
eine Absenz spürbar, die viele Menschen, Gläubige und
Suchende, auf eigentümliche Weise umfing und Räume der
Begegnung, Augenblicke eines gemeinsamen und vielstimmigen Betens,
Singens und Schweigens eröffnete. Unter den beiden erleuchteten
Fenstern, die diese Absenz bezeichneten und an das Drama der Unsichtbarkeit,
des Unsichtbarwerdens erinnerten, bildete sich ein gesellschaftlicher
Körper, der die gewissermassen vertikale Erfahrung
des Erblickt-Werdens in die horizontale Dimension
eines multiperspektivischen Sehens, einer gegenseitigen Vergewisserung
übersetzte:
Am Ende, heißt es bei Michel
de Certeau, besteht die Erfahrung des Blickes darin, zu glauben
ohne zu sehen, also in Gemeinschaft zu leben.... Wenn du dem anderen
nicht glaubst, wirst du im Unmöglichen und Sinnlosen verharren.
Zwischen den Sprechenden reagiert dieser Glaube auf das, was der
Blick für jeden von ihnen ist. Der Widerspruch zwischen ihnen
ist unauflösbar, denn jeder ... bewahrt das verschwiegene Geheimnis
seiner Beziehung zum Unendlichen für sich.(5)
Glauben also bedeutet die Freisetzung
des Bildhaften im Wort, seiner Mit-Teilung. Glauben ist
Reden in und über Bilder, Bilder einer inneren Wahrnehmung,
einer unvergesslichen, mitunter traumatischen Verlusterfahrung,
der Begegnung mit einem allgegenwärtigen, absoluten Blick.
Die Praxis des Glaubens ist Bilder-Sprache. Und diese Sprache schien
sich in jenen Stunden auf die verschiedenen Dimensionen des öffentlichen
(kirchlichen, gesellschaftlichen) Raumes zu weiten: auf eine dia-logische
Praxis, ihre gerade in der Gebrochenheit geheilte, heilige Mitte.(6)
Vielleicht wird hier das „Wunder“
des Ikonographischen offenbar: Es bewirkt einen gewissen (eher ästhetisch
denn theologisch geprägten) Glauben, eine nicht eindeutig
zu verortende Gläubigkeit. Und in diesem synästhetischen
Cross-over vom wortlosen, ein Schweigen bewahrendes Bild
zum bildlosen Wort
(7), diesem Zeichen einer Über- oder Ver-Kreuzung
vermeintlicher Gegensätze, das auch an das Symbol des Kreuzes
erinnert, wird dieses „Wunder“ der Ikone wirksam,
weist es Wege zu jener Errettung der äusseren Wirklichkeit,
die erst in der Erfahrung der Bilder und unseres gemeinsamen Glaubens
an sie Gestalt annimmt.
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(1)
M.Cacciari, Die Ikone, in: V.Bohn (Hrsg.), Bildlichkeit,
Ffm 1990, 385-429
(2)
Dieser Unterscheidung hat E.H. Kantorowicz seine mittlerweile
klassische Studie gewidmet: The King´s Two Bodes,
Princeton 1957
(3)
Vgl. Cacciari op.cit., p..399
(4)
J. Lacan, zit. nach: S. Zizek, Die Furcht vor echten Tränen,
Berlin 2001, p.15f.
(5)
Vgl. M. de Certeau, Nikolaus von Cues : Das Geheimnis eines
Blickes, in: Bohn op.cit., 325-356, pp.350 bzw. 353.
(6) Der
Ausdruck stammt von M. Barnes. Vgl. dazu: „Negotiating the
middle“, in: idem, Theology and the Dialogue of Religions,
Cambridge 2002, 231-254.
(7)
Vgl. dazu den großen Schlussmonolog des sterbenden
Replikanten Roy, dieses an seine visionäre Sprache traumverlorenen
alter Christus in Maschinen-Menschen-Gestalt in Ridley
Scotts messianischer Science-Fiction Parabel „Blade Runner“
(USA, 1982): Ich habe Dinge gesehen, die nie ein Mensch zuvor
gesehen hat: gewaltige Raumschiffe, die brannten vor der Schulter
des Orion... . Die Erinnerung erschließt hier eine Bild-Sprache,
die über keine unmittelbare Anschauung verfügt, der es
also (von Seiten des Zuschauers) Gehör zu schenken, zu glauben
gilt.
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