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Im Interview: Georg Streiter
Foto: Bild
 

Einen Tag nach der Wahl von Kardinal Joseph Ratzinger zum Papst Benedikt XVI. titelte Bild die Headline des Jahres 2005.

 
   
Georg Streiter, geboren 1955
in Luxemburg, ist seit Januar 2005 Ressortleiter Politik bei der Bild-Zeitung.
 
   

 

  „Wir sind Papst“

Interview mit Georg Streiter, Bild-Zeitung Hamburg

Georg Streiter ist Ressortleiter Politik bei der Bild-Zeitung in Hamburg. Von ihm stammt die mittlerweile vielfach zitierte und abgewandelte Schlagzeile „Wir sind Papst“. Beim Kreativ-Wettbewerb des Art Directors Club (ADC) gab es im Frühjahr 2006 Silber für diese Schlagzeile und Gold für die Mediengestaltung des Bild-Titels. Sinnstiftermag befragte Georg Streiter zu Bild, Ratzinger, Johannes Paul II. und katholischer Öffentlichkeitsarbeit.

 

Herr Streiter, Sie haben die berühmte Schlagzeile getextet „Wir sind Papst!“ Wie ist diese Schlagzeile entstanden und wie war die Reaktion unter ihren Kolleginnen und Kollegen?

Georg Streiter Wir haben alle gemeinsam im Produktionsraum vom BILD vor den Fernsehern gesessen und waren zunächst etwas irritiert über die undefinierbare Farbe des Rauchs, der aus dem Kamin der Sixtinischen Kapelle aufstieg. Es war ja kurz vor Redaktionsschluss, für uns kam es auf jede Minute an. Als dann der Name Ratzinger fiel, brach allgemeiner Jubel aus. Ich rief spontan: „Wir sind Papst!“ In der anschließenden Diskussion um die Schlagzeile setzte sich diese Formulierung dann in Ermangelung besserer Ideen durch.

Wer ist mit "Wir" gemeint und warum sollen wir stolz sein?

Wir – das sind wir Deutschen. Natürlich schwingt da das Gefühl von „Wir sind Weltmeister“ ein bisschen mit – aber ich glaube, hier geht es weniger um Stolz, sondern mehr um eine unschuldige Freude ohne jede Überheblichkeit.

Wie sehen Sie die Einwände zum Beispiel kritischer gesellschaftlicher Gruppen, sie seien in dem "Wir" der Schlagzeile nicht enthalten?

Als Mensch empfinde ich diese Kritik als etwas kleinkariert. Als Zeitungsmacher sage ich: Lieber eine Schlagzeile, zu der die Leser eine – von mir aus auch ablehnende – Meinung haben als eine Schlagzeile, zu der sie überhaupt keine Meinung haben.

Was glauben Sie, warum kam diese Headline so gut an?

Weil sie ein bisschen frech war und die Gefühle angesprochen hat. Weil sie kurz und einprägsam war. Weil man darüber lachen oder sich ärgern konnte. Weil sie gezeigt hat, dass BILD einzigartig ist. Wenn Sie sich die Titelseiten der anderen Zeitungen von diesem Tag ansehen, werden Sie überall lesen „Ratzinger neuer Papst“ oder ähnlich. Nur die taz hat mit ihrer Zeile „Oh, mein Gott!“ noch eine auf ihre Leserschaft zugeschnittene originelle Überschrift gehabt.

Gab es Besonderheiten bei der Entstehung der Schlagzeile "Wir sind Papst"?

Nein.

Kardinal Lehmann lobte Ihre Schlagzeile in einem Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung mit den Worten: „Eine geschickte Formulierung...“
Zugleich sagte er: „Ich habe mich geärgert. In Rom dachte ich: Wenn jetzt ein Deutscher Papst geworden ist, muss man da gleich so auftreten?“ Was meinen Sie: Hat die Bild-Zeitung da ein bisschen zu viel auf „Wir-sind-wieder-wer“ gemacht?

Schon als Schüler habe ich immer vermutet, dass in viele Texte mehr hineininterpretiert wird als wirklich drinsteht. Im Ernst: Ich glaube, dass wir Deutschen verlernen, uns einfach einmal zu freuen. Einfach so, ohne „Wir-sind-wieder-wer“-Attitüde. BILD-Schlagzeilen sind ja kein Evangelium: Sie sind nicht für die Ewigkeit sondern für den Tag gemacht.

Wie entsteht überhaupt eine BILD-Titelschlagzeile?

Oft durch lange, manchmal quälende Diskussionen, gelegentlich – wie bei „Wir sind Papst“ – aus einer spontanen Eingebung. Wobei die Spontaneingebungen wie „Bumm, Bumm Becker“ oder „Rudi haudi Saudi“ oft die sind, die einem im Gedächtnis bleiben. Aber wenn es um Skandale oder Kriminalfälle geht, muss schon sehr sorgfältig abgewogen werden, ob das Thema überhaupt für eine Schlagzeile gut ist und wie weit man gehen kann oder nicht. Sie glauben gar nicht, wie viele Schlagzeilen BILD nicht gedruckt hat. Die besten Schlagzeilen sind die, durch die unsere Leser bei ihren Gefühlen, wie wir oft sagen, „abgeholt“ werden.

War eine sprachliche Analogie zum "Wir sind Weltmeister" geplant?

Wie ich schon sagte: Da war gar nicht so viel geplant wie hinterher hineininterpretiert worden ist. Aber es gibt ja sicher schlimmeres, als Weltmeister oder Papst zu sein.

Würden Sie sagen, dass der Katholizismus in Deutschland ähnlich stark kulturell verwurzelt ist wie der Fußball?

Er ist sogar stärker verwurzelt: Wenn ich richtig informiert bin, gibt es in Deutschland etwa sechs Millionen aktive Mitglieder in Fußballvereinen, aber über 50 Millionen Christen, darunter 26 Millionen Katholiken.

Hatten Sie Anrufe von Lesern zu dem Artikel und der Schlagzeile? Welche Stimmen gab es?

Ja, es haben viele angerufen und geschrieben. Um ehrlich zu sein: Journalisten fanden die Schlagzeile toll, die Leser waren eher kritisch.

Sprechen wir über den Vorgänger von Papst Benedikt XVI: Was ist für Sie als Journalist der Grund, dass Papst Johannes Paul II. eine solche Ausstrahlung, auch speziell auf Jugendliche, hatte?

Ich bin evangelisch und kein Anhänger der Amtskirche – aber ich habe mich 1980 in Köln und Bonn – in Bonn sogar zweimal – an den Straßenrand gestellt, um Johannes Paul II. zu sehen und ihm zuzuwinken. Er hatte einfach eine Anziehungskraft, die ich nicht begründen kann. Vielleicht ist die ungewohnte natürliche Bescheidenheit eines Mächtigen das Geheimnis.

Wie beurteilen Sie als Journalist das öffentlich inszenierte Sterben und Begräbnis von Papst Johannes Paul II.?

Papst Johannes Paul II. hat zum Abschluss seines Lebens noch eine große gesellschaftspolitische Aufgabe auf sich genommen, um die sich auch Journalisten gern drücken. Er hat nämlich durch sein öffentliches Leiden, sein öffentliches Sterben und sein letztlich doch vergleichsweise schlichtes Begräbnis in den Herzen der Menschen diese kleine schwarze Tür geöffnet, die wir so gern verschlossen lassen: Sterben und Tod werden in unserer Gesellschaft einfach verdrängt. Die meisten Menschen und die, die ihnen nahe stehen, sind auf das Ende gar nicht oder schlecht vorbereitet. Von Krankheit, Sterben und Tod will niemand etwas wissen. Ich habe das selbst sehr bewusst erlebt, da meine Frau zehn Tage vor dem Papst binnen sechs Wochen an einer überraschend wieder aufgeflammten Krebserkrankung gestorben ist. Sie glauben gar nicht, wie seltsam sich selbst gute Freunde verhalten, wenn es ums Sterben geht. Das Sterben von Papst Johannes Paul II. und die große Berichterstattung darüber hat vielleicht einen Beitrag dazu leisten können, dass eine große Öffentlichkeit einmal darüber nachdenkt, wohin der letzte Weg führt und und wie man ihn beschreiten könnte.

Es folgte die Wahl von Karl Joseph Ratzinger zum Papst. Was war für Sie der beeindruckendste Aspekt und Moment bei dieser Wahl?

Das Banale war zunächst das Aufregendste, nämlich das lange Rätselraten, ob der Rauch nun schwarz oder weiß war. Das hat die ohnehin schon große Spannung natürlich noch zusätzlich gesteigert. Als dann die Glocken zu läuten begannen, die Menschenmenge in Rom jubelte, wurde es geradezu unerträglich. In Wahrheit hatte natürlich auch bei uns in der Redaktion kaum jemand daran geglaubt, dass Kardinal Ratzinger der neue Papst sein würde. Die Überraschung, dass er es wurde, löste sich in einem unbeschreiblichen bauchgesteuerten Jubel. In dem Moment waren wir einfach alle Papst. Ohne Frage. Der für mich wirklich beeindruckendste Aspekt dieser Papstwahl kam erst Stunden später heraus: die große Mehrheit, die Ratzinger gewählt hatte.

Was ist das Neue und das Besondere an Papst Benedikt XVI.?

Bloß weil mir mal eine Papst-Schlagzeile eingefallen ist, bin ich kein Papst-Experte. Daher kann ich nur ohne größeres Wissen über meine persönliche Wahrnehmung sprechen: Ich finde, Papst Benedikt XVI. zeigt eine beeindruckende Bescheidenheit. Er hat sich, glaube ich, nicht nach diesem Amt gesehnt. Er wollte lieber weiter wissenschaftlich arbeiten. Aber jetzt zu sehen, wie er doch zunehmend offenbar echte Freude an seiner neuen Aufgabe findet, zeigt aus meiner Sicht, welche Kraft der Glaube freisetzen kann.

Was glauben Sie, finden die traditionellen Volkskirchen und der christliche Glaube nicht viel zu selten in den deutschen Medien statt?

Wenn Sie einmal durch die Lokalteile in den Regionalzeitungen blättern, werden sie feststellen, dass dort regelmäßig über die Kirche und ihre Veranstaltungen berichtet wird. In vielen Gegenden ist die Kirche ja der aktivste "Verein". Sie gehört einfach zum täglichen Leben, sie ist das tägliche Leben. Das ist die eine Seite. Auf der anderen Seite sind ernsthafte Glaubensfragen eben nicht so leicht verdauliche Kost wie irgendeine Blöd-Show im Fernsehen. Man muss schon sehr mutig sein, groß über Kirche zu berichten. BILD hat zu Beginn des Weltjugendtages auf der Titelseite riesig ein Grußwort des Papstes abgedruckt. Diese Ausgabe gehörte nicht zu den Verkaufsschlagern des Jahres. Wir haben das gemacht, weil wir es für wichtig hielten. Aber ob uns das gefällt oder nicht: für die Auflage war das kein guter Tag.

Angenommen, Sie wären Pressechef der Katholischen Kirche in Deutschland. Welche Strategie würden Sie der katholischen Kirche empfehlen? Was würden Sie an der Öffentlichkeitsarbeit der Katholischen Kirche ändern?

Oh Gott! Ich versuch’s mal: Das wichtigste ist, dass die Kirche wieder Kontakt zu denen sucht, die nicht in den Gottesdienst kommen. Dazu gehört für mich z.B., dass jeder, der neu in eine Stadt kommt, vom Pfarrer persönlich besucht wird. Die Kirche muss zeigen, dass sie da, dass sie Hilfe gibt aber auch gern Hilfe annimmt. Ich würde mir eine gigantische Werbekampagne ausdenken, die Jugendliche wirklich "cool" finden. Die Kirche muss sich als Gemeinschaft präsentieren, deren Mitgliedschaft erstrebenswert ist. Sie muss vermitteln, dass diejenigen, die mitmachen, ein schöneres und interessanteres Leben haben als die, die leider draußen bleiben; dass man da tolle Leute treffen kann, die etwas zu bieten haben. Die Kirche muss zu allen wichtigen Fragen offensiv Stellung nehmen. Aber nicht nur zur Ökumene und zur Liturgie, sondern eben auch zur Gesundheitspolitik oder dem Benzinpreis. Warum nehmen z.B. zum Thema Islamismus im Fernsehen nur Orient-Forscher Stellung? Warum sitzt da nicht ein flotter Bischof? Meine Strategie in zwei Worten wäre: Flagge zeigen!

Ein wichtiger Teil von Gesellschaft und Kultur sind – oder müssen wir besser sagen, waren einmal – Religion und Kirche. Die Volkskirchen scheinen inzwischen an Kraft und Einfluss zu verlieren. Woran liegt das Ihrer Meinung nach?

Vielleicht geht es den Kirchen ähnlich wie den Politikern: Sie haben den Kontakt zu den Menschen verloren und können gar nicht verstehen, dass heutzutage nicht Verkündigung sondern Argumentation gefragt ist. Bevor die Leute etwas glauben, wollen sie überzeugt werden. Dass das Wort nicht einfach kommentarlos gehört wird, daran müssen sich Pastoren und Politiker offenbar erst noch gewöhnen.

Sind kirchliche Themen für die Bild-Zeitung heute noch von Interesse und falls ja, welche?

Natürlich hat BILD keine regelmäßige Kirchenseite – aber BILD bekennt sich ausdrücklich zum Christentum. Das wird gelegentlich in Kommentaren deutlich aber z.B. auch in gelegtnlichen Geschichten über Pastoren und ehrenamtliche Kräfte. BILD hat im vergangenen Jahr mit dem Druck einer „Volks-Bibel“ einen sagenhaften Erfolg gehabt. Und es gibt, glaube ich, kaum eine Zeitung, die so groß und so viel über den Papst berichtet hat.

Drei Fragen zum Schluss: Sind Sie noch in der Kirche?

Nein, ich bin aus der Kirche ausgetreten.

Glauben Sie an Gott?

Ja, ich bin Christ und bete sogar - gelegentlich.

Glauben Sie, der Papst liest die Bild-Zeitung?

Bestimmt!

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