„Wir sind Papst“
Interview mit Georg Streiter, Bild-Zeitung
Hamburg
Georg Streiter ist Ressortleiter Politik
bei der Bild-Zeitung in Hamburg. Von ihm stammt die mittlerweile
vielfach zitierte und abgewandelte Schlagzeile „Wir sind Papst“.
Beim Kreativ-Wettbewerb des Art Directors Club (ADC) gab es im Frühjahr
2006 Silber für diese Schlagzeile und Gold für die Mediengestaltung
des Bild-Titels. Sinnstiftermag befragte Georg Streiter zu Bild,
Ratzinger, Johannes Paul II. und katholischer Öffentlichkeitsarbeit.
Herr Streiter, Sie haben die berühmte
Schlagzeile getextet „Wir sind Papst!“ Wie ist diese
Schlagzeile entstanden und wie war die Reaktion unter ihren Kolleginnen
und Kollegen?
Georg Streiter
Wir haben alle gemeinsam im Produktionsraum vom BILD vor den Fernsehern
gesessen und waren zunächst etwas irritiert über die undefinierbare
Farbe des Rauchs, der aus dem Kamin der Sixtinischen Kapelle aufstieg.
Es war ja kurz vor Redaktionsschluss, für uns kam es auf jede
Minute an. Als dann der Name Ratzinger fiel, brach allgemeiner Jubel
aus. Ich rief spontan: „Wir sind Papst!“ In der anschließenden
Diskussion um die Schlagzeile setzte sich diese Formulierung dann
in Ermangelung besserer Ideen durch.
Wer ist mit "Wir" gemeint und
warum sollen wir stolz sein?
Wir – das sind wir Deutschen. Natürlich
schwingt da das Gefühl von „Wir sind Weltmeister“
ein bisschen mit – aber ich glaube, hier geht es weniger um
Stolz, sondern mehr um eine unschuldige Freude ohne jede Überheblichkeit.
Wie sehen Sie die Einwände zum Beispiel
kritischer gesellschaftlicher Gruppen, sie seien in dem "Wir"
der Schlagzeile nicht enthalten?
Als Mensch empfinde ich diese Kritik als
etwas kleinkariert. Als Zeitungsmacher sage ich: Lieber eine Schlagzeile,
zu der die Leser eine – von mir aus auch ablehnende –
Meinung haben als eine Schlagzeile, zu der sie überhaupt keine
Meinung haben.
Was glauben Sie, warum kam diese Headline
so gut an?
Weil sie ein bisschen frech war und die
Gefühle angesprochen hat. Weil sie kurz und einprägsam
war. Weil man darüber lachen oder sich ärgern konnte.
Weil sie gezeigt hat, dass BILD einzigartig ist. Wenn Sie sich die
Titelseiten der anderen Zeitungen von diesem Tag ansehen, werden
Sie überall lesen „Ratzinger neuer Papst“ oder
ähnlich. Nur die taz hat mit ihrer Zeile „Oh, mein Gott!“
noch eine auf ihre Leserschaft zugeschnittene originelle Überschrift
gehabt.
Gab es Besonderheiten bei der Entstehung
der Schlagzeile "Wir sind Papst"?
Nein.
Kardinal Lehmann lobte Ihre Schlagzeile
in einem Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung
mit den Worten: „Eine geschickte Formulierung...“
Zugleich sagte er: „Ich habe mich geärgert. In Rom dachte
ich: Wenn jetzt ein Deutscher Papst geworden ist, muss man da gleich
so auftreten?“ Was meinen Sie: Hat die Bild-Zeitung da ein
bisschen zu viel auf „Wir-sind-wieder-wer“ gemacht?
Schon als Schüler habe ich immer
vermutet, dass in viele Texte mehr hineininterpretiert wird als
wirklich drinsteht. Im Ernst: Ich glaube, dass wir Deutschen verlernen,
uns einfach einmal zu freuen. Einfach so, ohne „Wir-sind-wieder-wer“-Attitüde.
BILD-Schlagzeilen sind ja kein Evangelium: Sie sind nicht für
die Ewigkeit sondern für den Tag gemacht.
Wie entsteht überhaupt eine BILD-Titelschlagzeile?
Oft durch lange, manchmal quälende
Diskussionen, gelegentlich – wie bei „Wir sind Papst“
– aus einer spontanen Eingebung. Wobei die Spontaneingebungen
wie „Bumm, Bumm Becker“ oder „Rudi haudi Saudi“
oft die sind, die einem im Gedächtnis bleiben. Aber wenn es
um Skandale oder Kriminalfälle geht, muss schon sehr sorgfältig
abgewogen werden, ob das Thema überhaupt für eine Schlagzeile
gut ist und wie weit man gehen kann oder nicht. Sie glauben gar
nicht, wie viele Schlagzeilen BILD nicht gedruckt hat. Die besten
Schlagzeilen sind die, durch die unsere Leser bei ihren Gefühlen,
wie wir oft sagen, „abgeholt“ werden.
War eine sprachliche Analogie zum "Wir
sind Weltmeister" geplant?
Wie ich schon sagte: Da war gar nicht
so viel geplant wie hinterher hineininterpretiert worden ist. Aber
es gibt ja sicher schlimmeres, als Weltmeister oder Papst zu sein.
Würden Sie sagen, dass der Katholizismus
in Deutschland ähnlich stark kulturell verwurzelt ist wie der
Fußball?
Er ist sogar stärker verwurzelt:
Wenn ich richtig informiert bin, gibt es in Deutschland etwa sechs
Millionen aktive Mitglieder in Fußballvereinen, aber über
50 Millionen Christen, darunter 26 Millionen Katholiken.
Hatten Sie Anrufe von Lesern zu dem Artikel
und der Schlagzeile? Welche Stimmen gab es?
Ja, es haben viele angerufen und geschrieben.
Um ehrlich zu sein: Journalisten fanden die Schlagzeile toll, die
Leser waren eher kritisch.
Sprechen wir über den Vorgänger
von Papst Benedikt XVI: Was ist für Sie als Journalist der
Grund, dass Papst Johannes Paul II. eine solche Ausstrahlung, auch
speziell auf Jugendliche, hatte?
Ich bin evangelisch und kein Anhänger
der Amtskirche – aber ich habe mich 1980 in Köln und
Bonn – in Bonn sogar zweimal – an den Straßenrand
gestellt, um Johannes Paul II. zu sehen und ihm zuzuwinken. Er hatte
einfach eine Anziehungskraft, die ich nicht begründen kann.
Vielleicht ist die ungewohnte natürliche Bescheidenheit eines
Mächtigen das Geheimnis.
Wie beurteilen Sie als Journalist das öffentlich
inszenierte Sterben und Begräbnis von Papst Johannes Paul II.?
Papst Johannes Paul II. hat zum Abschluss
seines Lebens noch eine große gesellschaftspolitische Aufgabe
auf sich genommen, um die sich auch Journalisten gern drücken.
Er hat nämlich durch sein öffentliches Leiden, sein öffentliches
Sterben und sein letztlich doch vergleichsweise schlichtes Begräbnis
in den Herzen der Menschen diese kleine schwarze Tür geöffnet,
die wir so gern verschlossen lassen: Sterben und Tod werden in unserer
Gesellschaft einfach verdrängt. Die meisten Menschen und die,
die ihnen nahe stehen, sind auf das Ende gar nicht oder schlecht
vorbereitet. Von Krankheit, Sterben und Tod will niemand etwas wissen.
Ich habe das selbst sehr bewusst erlebt, da meine Frau zehn Tage
vor dem Papst binnen sechs Wochen an einer überraschend wieder
aufgeflammten Krebserkrankung gestorben ist. Sie glauben gar nicht,
wie seltsam sich selbst gute Freunde verhalten, wenn es ums Sterben
geht. Das Sterben von Papst Johannes Paul II. und die große
Berichterstattung darüber hat vielleicht einen Beitrag dazu
leisten können, dass eine große Öffentlichkeit einmal
darüber nachdenkt, wohin der letzte Weg führt und und
wie man ihn beschreiten könnte.
Es folgte die Wahl von Karl Joseph Ratzinger
zum Papst. Was war für Sie der beeindruckendste Aspekt und
Moment bei dieser Wahl?
Das Banale war zunächst das Aufregendste,
nämlich das lange Rätselraten, ob der Rauch nun schwarz
oder weiß war. Das hat die ohnehin schon große Spannung
natürlich noch zusätzlich gesteigert. Als dann die Glocken
zu läuten begannen, die Menschenmenge in Rom jubelte, wurde
es geradezu unerträglich. In Wahrheit hatte natürlich
auch bei uns in der Redaktion kaum jemand daran geglaubt, dass Kardinal
Ratzinger der neue Papst sein würde. Die Überraschung,
dass er es wurde, löste sich in einem unbeschreiblichen bauchgesteuerten
Jubel. In dem Moment waren wir einfach alle Papst. Ohne Frage. Der
für mich wirklich beeindruckendste Aspekt dieser Papstwahl
kam erst Stunden später heraus: die große Mehrheit, die
Ratzinger gewählt hatte.
Was ist das Neue und das Besondere an Papst
Benedikt XVI.?
Bloß weil mir mal eine Papst-Schlagzeile
eingefallen ist, bin ich kein Papst-Experte. Daher kann ich nur
ohne größeres Wissen über meine persönliche
Wahrnehmung sprechen: Ich finde, Papst Benedikt XVI. zeigt eine
beeindruckende Bescheidenheit. Er hat sich, glaube ich, nicht nach
diesem Amt gesehnt. Er wollte lieber weiter wissenschaftlich arbeiten.
Aber jetzt zu sehen, wie er doch zunehmend offenbar echte Freude
an seiner neuen Aufgabe findet, zeigt aus meiner Sicht, welche Kraft
der Glaube freisetzen kann.
Was glauben Sie, finden die traditionellen
Volkskirchen und der christliche Glaube nicht viel zu selten in
den deutschen Medien statt?
Wenn Sie einmal durch die Lokalteile in
den Regionalzeitungen blättern, werden sie feststellen, dass
dort regelmäßig über die Kirche und ihre Veranstaltungen
berichtet wird. In vielen Gegenden ist die Kirche ja der aktivste
"Verein". Sie gehört einfach zum täglichen Leben,
sie ist das tägliche Leben. Das ist die eine Seite. Auf der
anderen Seite sind ernsthafte Glaubensfragen eben nicht so leicht
verdauliche Kost wie irgendeine Blöd-Show im Fernsehen. Man
muss schon sehr mutig sein, groß über Kirche zu berichten.
BILD hat zu Beginn des Weltjugendtages auf der Titelseite riesig
ein Grußwort des Papstes abgedruckt. Diese Ausgabe gehörte
nicht zu den Verkaufsschlagern des Jahres. Wir haben das gemacht,
weil wir es für wichtig hielten. Aber ob uns das gefällt
oder nicht: für die Auflage war das kein guter Tag.
Angenommen, Sie wären Pressechef der
Katholischen Kirche in Deutschland. Welche Strategie würden
Sie der katholischen Kirche empfehlen? Was würden Sie an der
Öffentlichkeitsarbeit der Katholischen Kirche ändern?
Oh Gott! Ich versuch’s mal: Das
wichtigste ist, dass die Kirche wieder Kontakt zu denen sucht, die
nicht in den Gottesdienst kommen. Dazu gehört für mich
z.B., dass jeder, der neu in eine Stadt kommt, vom Pfarrer persönlich
besucht wird. Die Kirche muss zeigen, dass sie da, dass sie Hilfe
gibt aber auch gern Hilfe annimmt. Ich würde mir eine gigantische
Werbekampagne ausdenken, die Jugendliche wirklich "cool"
finden. Die Kirche muss sich als Gemeinschaft präsentieren,
deren Mitgliedschaft erstrebenswert ist. Sie muss vermitteln, dass
diejenigen, die mitmachen, ein schöneres und interessanteres
Leben haben als die, die leider draußen bleiben; dass man
da tolle Leute treffen kann, die etwas zu bieten haben. Die Kirche
muss zu allen wichtigen Fragen offensiv Stellung nehmen. Aber nicht
nur zur Ökumene und zur Liturgie, sondern eben auch zur Gesundheitspolitik
oder dem Benzinpreis. Warum nehmen z.B. zum Thema Islamismus im
Fernsehen nur Orient-Forscher Stellung? Warum sitzt da nicht ein
flotter Bischof? Meine Strategie in zwei Worten wäre: Flagge
zeigen!
Ein wichtiger Teil von Gesellschaft und
Kultur sind – oder müssen wir besser sagen, waren einmal
– Religion und Kirche. Die Volkskirchen scheinen inzwischen
an Kraft und Einfluss zu verlieren. Woran liegt das Ihrer Meinung
nach?
Vielleicht geht es den Kirchen ähnlich
wie den Politikern: Sie haben den Kontakt zu den Menschen verloren
und können gar nicht verstehen, dass heutzutage nicht Verkündigung
sondern Argumentation gefragt ist. Bevor die Leute etwas glauben,
wollen sie überzeugt werden. Dass das Wort nicht einfach kommentarlos
gehört wird, daran müssen sich Pastoren und Politiker
offenbar erst noch gewöhnen.
Sind kirchliche Themen für die Bild-Zeitung
heute noch von Interesse und falls ja, welche?
Natürlich hat BILD keine regelmäßige
Kirchenseite – aber BILD bekennt sich ausdrücklich zum
Christentum. Das wird gelegentlich in Kommentaren deutlich aber
z.B. auch in gelegtnlichen Geschichten über Pastoren und ehrenamtliche
Kräfte. BILD hat im vergangenen Jahr mit dem Druck einer „Volks-Bibel“
einen sagenhaften Erfolg gehabt. Und es gibt, glaube ich, kaum eine
Zeitung, die so groß und so viel über den Papst berichtet
hat.
Drei Fragen zum Schluss: Sind Sie noch in
der Kirche?
Nein, ich bin aus der Kirche ausgetreten.
Glauben Sie an Gott?
Ja, ich bin Christ und bete sogar - gelegentlich.
Glauben Sie, der Papst liest die Bild-Zeitung?
Bestimmt!
nach oben
|