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Text: Christiane Florin

 

Christiane Florin war von 2010 bis Ende 2015 Redaktionsleiterin der ZEIT-Beilage Christ & Welt, seit Januar 2016 ist sie Redakteurin für Religion und Gesellschaft beim Deutschlandfunk. Zuvor war Christiane Florin Feuilletonchefin der Wochenzeitung
Rheinischer Merkur. Sie studierte in Bonn und Paris Politische Wissenschaft, Neuere Geschichte und Musikwissenschaft und wurde 1997 mit einer Arbeit über die Aufarbeitung der Vichy-Vergangenheit promoviert.
Seit 2000 hat sie einen Lehrauftrag für Politik an der Universität Bonn. Im vergangenen Jahr erschien von ihr im Rowohlt-Verlag die Streitschrift „Warum unsere Studenten so angepasst sind“.

 
   
 

 

 

 

„Frau Florin, Sie haben Papst Franziskus schon den ein oder anderen Artikel gewidmet. Was fasziniert Sie an ihm?“

Künstler faszinieren mich, Päpste eher nicht. Beeindruckt hat mich – wie wohl sehr viele  – sein erster Auftritt auf der Loggia. Da war schon klar: Der Mann ist anders. Er verzichtet auf Pomp, er bittet um das Gebet aller für den Bischof von Rom, er wählt einen Namen, den jeder kennt, den sich aber noch kein Papst ausgesucht hat. Wer hätte es für möglich gehalten, dass so einer gewählt wird? Mancher Kardinal bereut wahrscheinlich auch schon, ihm die Stimme gegeben zu haben.  
Spontan ging mir das Lied „Solo le pido a dios“ der großen argentinischen Sängerin Mercedes Sosa durch den Kopf, als er sich als Mann vom Ende der Welt vorstellte. "Alles, was ich von Gott erbitte“ heißt der Titel übersetzt. Es war ein großes Aufatmen: Endlich löst sich die jahrzehntelange Erstarrung der katholischen Kirche, endlich wird es möglich, frei zu reden und endlich ist Christsein keine hochtrabende Wissenschaft mehr. Wenn ein junger Theologe vor 2013 etwas so Kleruskritisches geschrieben hätte wie „Evangelii Gaudium“, dann hätte er seine Karriere abschreiben können. Jetzt ist ein Kleruskritiker Papst. Franziskus wirkt befreiend – bis heute.

Was macht für die Öffentlichkeit die 'Faszination Franziskus' aus?

Franziskus hat etwas Jesuanisches. Jeder Auftritt ist eine kleine Bergpredigt. Er küsst einen von Warzen entstellten Mann, er lässt die Kinder zu sich kommen, sie dürfen sogar auf seinem Heiligen Stuhl spielen. Er spricht anschaulich, lebensnah und pointiert. So untaktisch redet nur jemand, der keine Angst vor der Welt da draußen hat.
In seiner Anfangszeit hatte er einmal ein Gespräch mit Kindern, das ich sehr aufschlussreich fand. Die Kinder konnten ihn befragen und bei fast jeder Antwort hat er ein „verstehst du?“ angehängt. Es ist ihm offenbar wichtig, nicht nur zu verkünden, sondern tatsächlich verstanden zu werden. Soviel Gewandtheit und Zugewandtheit sind in diesem Amt nicht selbstverständlich.  Er hat Sinn für kleine und kleinste Zeichen, er hat aber auch eine Gabe, nach den ganz großen Themen der Weltpolitik zu greifen: Gerechtigkeit und Frieden. Franziskus spricht damit auch Menschen an, die der Kirche fernstehen. Derzeit habe ich sogar den Eindruck, Franziskus wird außerhalb der Kirche mehr geschätzt als innerhalb.

Wie schätzen Sie seine mediale Wirkungskraft ein?

Päpste sind Popstars, zumindest seit Johannes Paul II. Sie sind per se medial interessant, weil das Amt so exotisch ist. Franziskus ist mit einer medialen Dreifaltigkeit gesegnet:

1. Er redet mehr als wir Journalisten verdauen können, diktiert uns aber trotz der Wortflut prägnante Sätze in den Block: Diese Wirtschaft tötet. Wer bin ich, dass ich über andere urteile. Ein Hirte muss riechen wie seine Schafe.

2. Er schreckt vor Humor nicht zurück, wie die Karnickel und die Kurienkrankheiten zeigen.

3. Wenn er sich ein Thema greift, dann wird es unvermeidlich. Nachdem er auf Lampedusa war, wurde es zum Beispiel für Politiker schwierig, Flüchtlingspolitik als „Multi-Kulti-Gutmenschenthema“ abzutun. Mit dem Klimaschutz ist es ähnlich.

Warum wirkt er medial so anders als seine Vorgänger?

Er wirkt medial nicht nur anders, er ist anders als Benedikt XVI. Es wäre ja auch erstaunlich, wenn zwei Männer mit so verschiedenen Biografien das Amt auf die gleiche Weise ausfüllen würden. Benedikt hat sich in der Öffentlichkeit sichtlich unwohl gefühlt, Franziskus genießt das Bad in der Menge. Benedikt wirkte immer ängstlich besorgt um die Reinheit der Kirche, Franziskus lobt die Beulen. Benedikt sprach immer von „dem Menschen“ allgemein, Franziskus erzählt von Menschen aus seinem Leben, vor allem von couragierten Müttern.
Das heißt aber alles nicht, dass Franziskus ein Mediendarling bleiben wird. Auf der Synode lasten Erwartungen wie auf einem Konzil. Wenn er wirklich etwas verändern will, wird er zeigen müssen, dass er nicht nur Bischof von Rom, Pastor der Weltkirche, sondern auch Papst ist.



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