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Titelstory von:
Prof. Hendrik Speck

Foto: © ingimage.com

 

 
   

 

Professor Hendrik Speck lehrt an der Fachhochschule Kaiserslautern im Fachbereich Informatik/Interaktive Medien, wo er das Information Architecture/Search Engine Labor der Fachhochschule leitet. Er diente als Chief Information Officer und Assistant Director der European Graduate School. Professor Speck ist ein Fulbright Scholar, sowie Stipendiat von DAAD, Heinrich Böll Stiftung, New School University (New York) und European Graduate School.

 
   

 

 

 

 

 

 

YouTube – The big picture

Konsumenten

Für manche lässt sich der Wandel des Fernsehens und der vermeintliche gesellschaftliche Niedergang in Deutschland an verschiedenen historischen Meilensteinen festmachen: Die Gründung der ARD am 5. Juni 1950, die Gründung des ZDF am 2. April 1963, das 3. Rundfunk-Urteil des Bundesverfassungsgerichtes vom 16. Juni 1981, das daraufhin entstehende  Privatfernsehen in Deutschland um 1984, die Vielzahl der privaten Nischenprogramme und seit einigen Jahren die aufstrebenden Filmportale des Digitalen.

Auch inhaltlich haben Wandelungsprozesse stattgefunden: Die frühen Versuche mit Zuschauerbeteiligung (Pleiten, Pech und Pannen 1986 – 2003) oder Grenzwerterfahrungen in Erotik-Spielshows für sexuell und geistig Unbedarfte (Tutti Frutti, 1990 – 1993) lieferten nur das Vorspiel für die Varianz der digitalen Streaming-Kanäle.

Seit 2005 steht die Marke YouTube, im November 2006 für 1.65 Milliarden USD von Google übernommen, als Manifest und Platzhalter für die veränderten Konsumgewohnheiten. YouTube ist längst eine der populärsten Marken in den Vereinigten Staaten und weltweit, Studien zufolge nutzen rund 40% der jungen Erwachsene die Plattform mindestens einmal am Tag. Im Jahr 2014 nutzten 58% aller Internetnutzer in Deutschland YouTube – mit weitem Abstand vor Amazon (12%) und Netflix (4%). Unter amerikanischen Jugendlichen haben die YouTube-Sternchen in Bezug auf ihre Popularität längst die klassischen Vorbilder aus Film, Musik und Fernsehen zurückgelassen.

Die Darsteller auf YouTube beeinflussen mehr Jugendliche in ihren Kaufentscheidungen, die YouTube-Darsteller werden als nahbarer, intelligenter und verlässlicher empfunden – nicht zuletzt aufgrund der vermeintlich intimen und authentischen Rahmenbedingungen innerhalb der Plattform. In der Vielzahl der Kanäle findet jeder Teenager seine Nische – die YouTube-Sternchen pflegen deshalb ihr ironisches, risikofreudiges Auftreten, den von Giorgio Agamben beschriebenen permanenten Ausnahmezustand, die Vorlagen für die Empörungsgesellschaft, und setzen sich nicht zuletzt auch damit von den mittlerweile stromlinienförmigen und massengeschmackkompatiblen Hollywood Stars ab. Viel spannender und vielleicht einer der Hauptfaktoren des Digitalen ist der Aufbau eines Referenz-Systems, die Möglichkeit der unmittelbaren Ansprache und Bewerbung, aber auch die Publikation von Zugriffszahlen und Statistiken, die Schaffung von Wettbewerb, Referenz und Norm.

Seit der Gründung von Metacafe im Jahr 2003, dem Wegbereiter für erst später gegründete Plattformen wie YouTube (Februar 2005) und DailyMotion (gegründet in Frankreich im März 2005), versuchen digitale Videoplattformen, ihre Dienste gewinnbringend breiten Bevölkerungsschichten zugänglich zu machen. Die  Plattformen bieten deshalb den Erstellern digitaler Inhalte, den Content-Providern und Partnern, die Möglichkeit, ihre Werke kostenlos weiten Bevölkerungsschichten zugänglich zu machen. Die Ersteller der Inhalte erhalten damit ein im Vergleich zum Fernsehen sehr niedrigschwelliges, und kosteneffektives Vertriebsangebot, das die Plattformen durch die Integration von Werbung, durch das Anbieten von kostenpflichtigen Zusatzdiensten und durch die Verwertung der Nutzerdaten finanzieren. Der Erfolg der werbefinanzierten Plattformen ist unmittelbar von der Reichweite der entsprechenden Portale abhängig, gerade in der Anfangszeit der Streaming-Plattformen wurde deshalb auch von YouTube ein relativ entspannter Umgang mit dem intellektuellen Eigentum Anderer gepflegt, um attraktive Inhalte anbieten zu können.

Die Schwierigkeiten und wirtschaftlichen Herausforderungen, eine derart bandbreiten- und somit kostenintensive Dienstleistung kostenlos anzubieten, müssen auch von YouTube noch zufriedenstellend beantwortet werden. Nach nunmehr einer Dekade und trotz Hunderten von Millionen USD, die Google in die Förderung kreativer Inhalte investiert, und einer Milliarde Nutzern, ist YouTube anscheinend immer noch nicht profitabel. Selbst die vier Milliarden USD, die YouTube im Jahr 2014 eingenommen hat, decken anscheinend gerade einmal die Kosten für die Infrastruktur, die für die weltweite Verfügbarmachung bandbreitenintensiver Videos nötig ist, den dazu nötigen Speicherplatz und die Förderung der Inhalte. Schätzungen gehen außerdem davon aus, dass ein verschwindend kleiner Anteil von Intensivnutzern (unter 10 Prozent) für circa 85% der Videoaufrufe und damit auch der Bandbreite und der zugehörigen Kosten verantwortlich ist. Dies ist im Gegensatz zum klassischen Rundfunk ein wesentlicher Nachteil des Vertriebsmodelles und eine Bedrohung für werbefinanzierte Dienstleistungen.

Eine Stunde im Selbstversuch in den Spitzenangeboten der deutschen YouTube-Gemeinschaft, mit einem frisch aufgesetzten, ohne Adblocker betriebenen, noch nicht mit Cookies und anderen freundlichen Überwachungselementen versehenen Browser offenbart Anfang Mai 2015 einen spannenden Produktemix innerhalb der eingeblendeten Werbung: Der Großteil der Werbung adressiert Diätplane, Genussmittel und das unterentwickelte, körperliche Selbstverständnis der Zielgruppe (Anzeigen von Kaufland mit dem Titel „Fühlen Sie sich zu dick“, Angebote zu Well&Slim Stoffwechsel Aktiv, merkwürdig unprofessionelle Anleitungen für den flachen Bauch der OnTopic Media AG sowie Milka Sofortrabatt, Tchibo Black 'n White und Kinder Maxi King), gefolgt von direkten Werbeangeboten für junge Mädchen und deren Schmink- und Abdeckbedarf (Garnier Miracle Sleeping Creme, Kiko Milano, Black Opium Yves Saint Laurent, Wella Professional / Friseure bewegen sowie Jolifin Evershine Nagellack). Am dritthäufigsten werden billige Schmuck- und Modeprodukte für weibliche Jugendliche beworben (Enamore Dessous, stefaniesStyle Mode, FashionMia, Ethno Fashion auf der Indienwoche / The True Story of Review 4 / Indien sowie Pandora Schmuck zum Muttertag), überraschenderweise folgen vermutlich fehlgesteuerte oder extrem preiswerte (Test-)Werbeeinblendungen für Automobile (Jaguar XE, Autohaus Deckert Peugot, Hankook Reifen). Beim Autohaus Deckert gibt es wenigstens einen lokalen Bezug, gefolgt von all den anderen Dingen, die Kinder so brauchen: Sodastream, CokeTV im Heidepark, eine Promotion des HTC One, das Spiel Call of Duty, die Fernsehserie Game of Thrones auf iTunes, Kontaktlinsenwerbung von Mr. Spex und wieder falsch ausgesteuerte Werbeeinblendungen für eine offensichtlich nicht korrekt beschriebene Zielgruppe (Buchhaltungssoftware der Fortnox GmbH sowie ein Versuch der Imagepflege der Zurich Versicherung), vielleicht in der irrigen Hoffnung, dass die Zielgruppe nur darauf wartet, im geschäftsfähigen Alter auf diese Produkte zurückzugreifen. Das vermutlich (noch) begrenzte Werbeinventar der Plattform YouTube  wird relativ oft durch eingeblendete Werbung für Google Adwords kompensiert.

Die gegenwärtige Hauptzielgruppe von YouTube – junge Erwachsene, Jugendliche, Hauptschüler und sozial Zurückgebliebene, Vertreter der Taschengeldkategorie, mit relativ begrenztem frei verfügbaren Einkommen und sehr speziellen Interessen – wird für die Gewinnung lukrativer Werbeaufträge auch langfristig eine Herausforderung darstellen. Premiumhersteller mit entsprechenden Budgets sind deshalb kaum in den Anzeigen zu finden. Der Großteil der werbenden Marken richtet sich stattdessen direkt an die Konsumbedürfnisse der jungen Erwachsenen oder versucht, nachhaltige Marken aufzubauen.

Eine von Google in Auftrag gegebene YouTube-Global-Audience-Studie – anscheinend basierend auf rein sozial implizierten Selbstauskünften – kommt, möglicherweise methodisch bedingt, auf deutlich vorteilhaftere Zahlen: Angeblich ist die Mehrzahl der YouTube-Nutzer älter als 30 Jahre, gut vernetzt, aktiv und verfügt über ein mittleres bis hohes Einkommen. Angeblich sind die Nutzer vielseitig interessiert, nur 15 Prozent der Nutzer sind unter 18 Jahren -  spannend wären hier tatsächlich Angaben zum methodischen Verfahren und zur Intensität und zum Charakter der YouTube Nutzung – es steht zu vermuten, dass all diejenigen älteren Zielgruppen, die per Default YouTube auf ihren Smartphones installiert bekommen haben, ein anderes Nutzungsverhalten aufweisen als die Zielgruppen, die YouTube aktiv erleben, bevölkern und gestalten.

Es ist unbestritten, dass es YouTube gelingt, die zunehmende Vergreisung und der einseitigen Interessensvertretung der deutschen Medienlandschaft erfolgreich anzugehen. Unabhängig vom Messverfahren bescheinigen Analysen vom Marktforschungsinstitut Media Control YouTube immer eine deutlich jüngere Zielgruppe als den Rentnerprogrammen des Bayerischen Fernsehens (Durchschnittsalter von 64 Jahren), von SWR (63 Jahre), NDR/RBB (62 Jahre), MDR/WDR (61 Jahre), ARD/ZDF (60 Jahre), Sat1 (51 Jahre) oder RTL (46 Jahre).

Produzenten

Die erfolgreichsten Kanäle auf YouTube erreichen auch in Deutschland Millionen von Abonnenten und Milliarden von Videoaufrufen. Ihre Wachstumskurven stehen verständlicherweise proportional zum Zeitungssterben und zum Wehklagen der Dynastien, die ihr Geschäftsmodell auf dem Abholzen sibirischer Urwälder gründen. Allerdings gelingt es YouTube-Inhalte-Anbietern aus Deutschland nicht, international in der 1. Liga mitzuspielen. Die erfolgreichsten Kanäle tauchen erst am Ende einer Rangliste der weltweit führenden Kanäle auf. Dennoch ist auch im Land der Dichter und Denker YouTube ein zuverlässiges Abbild unserer Hochkultur, und diese wird auf der Plattform gewissenhaft dokumentiert. Die populärsten Kanäle auf YouTube, ein fröhlicher Mix aus Abonnenten und Videoaufrufen, setzen sich zusammen aus Schminkelfen, Pennäler Humor (Gronkh. www.youtube.com/user/Gronkh), Menschen, die anderen Menschen beim Computerspielen zuschauen (Sarazar. www.youtube.com/user/sarazarlp), Nutzern, die anderen Nutzern das Zuschauen beim Auspacken von Spielzeug erlauben (FunToyzCollector. https://www.YouTube.com/user/DisneyCollectorBR) sowie Popstars und welchen, die es werden wollen.

Von den im visuellen Endkampf stehenden Fans werden die deutschen Darsteller auf YouTube als willkommene Abwechslung zum Schulabschluss aufgenommen. Gerade in der pubertären Reibungsphase werden die Akteure und die von ihnen repräsentierten Kanäle von ihren kindlichen Fans als „supercool“, „total hübsch“, „immer so cool drauf“ oder „voll nett“ empfunden, deren reine Präsenz bereits „gute Laune macht“. YouTube/Google fördert das gemeinsame Erlebnis mit Aufmärschen und Lichtspielen wie den VideoDays, dem größten Treffen der europäischen YouTube-Gemeinschaf, oder der Einrichtung von kompletten Studios wie dem YouTube-Space in Berlin als Schaffensraum. (Anmerkung: Die Plattformen stehen dabei zu ihrer nationalen Identität ebenso flüchtig wie die deutsche Politik zu einer nachhaltigen Energiewende. Die Assoziation mit Deutschland ist auch auf YouTube  mit Vorsicht zu genießen, sie entspricht innerhalb der Plattform oftmals nur einem willkürlich ausgewähltem Attribut – möglicherweise ein Versuch, anderen als restriktiv empfundenen Regulierungsansätzen zu umgehen).

Geboten werden auch Trailer von Kinofilmen und das bemerkenswert schlichte Vokabular der Teenagergenerationen. Die kreative Elite erhält die Heavy-Metal-Frequenzen jetzt direkt ans Kinderbett (Nuclear Blast Records. https://www.YouTube.com/user/nuclearblasteurope), Migrantenkanäle kennzeichnen sich wahlweise durch Ghettospeak (Agggro.TV. www.youtube.com/user/aggrotv, Bushido. www.youtube.com/user/bushido), bei dem der gesellschaftliche Normverstoß in den Streetcredit und die Träume der Jugendlichen eingepreist ist, oder durch musikalische Sehnsüchte aus dem Weichspülgang (Svetlana Ceca Raznatovic. www.youtube.com/user/cecavipper, ArkivaShqip. www.youtube.com/user/ArkivaShqip, PlanetaOfficial. www.youtube.com/user/PlanetaOfficial), und angepasst an die Kapazitäten der Zielgruppe mit Hyperaktivitätsstörung gibt es elektronische Musik aus der „Easy Listening“-Kategorie, wahlweise mit oder ohne menschliche Stimme, vorsortiert in den entsprechenden Playlists mit Autoplay-Funktion. 

Die deutsche Sprache wird dabei längst zum Wettbewerbshemmnis: Die historisch gescheiterte Erweiterung des deutschen Sprachraumes bekümmert auch die Akteure in der virtuellen deutschsprachigen Manege. Mit den Reichweiten und Wachstumszahlen der globalen, englischsprachigen Konsumgesellschaft können sie auch bei gleichwertigen Darbietungen nicht mithalten – und produzieren deshalb auch verstärkt Inhalte für entsprechende sprachliche Nischen oder versuchen eine Darstellung in der englischen Sprache, zumindest soweit sie es vermögen.

Die digitale Oberschicht besteht dabei aus durchaus erfrischenden und selbstironischen Akteuren, die ihr Programm teilweise auch im Namen vor sich hertragen, beispielsweise Ytitty (www.youtube.com/user/YTITTY), Aggro und DieLochis (www.youtube.com/user/DieLochis), fröhlich gemischt mit der Speerspitze des Feminismus, jenen Schminkelfen und Heldinnen des Alltages wie daaruum (www.youtube.com/user/daaruum), BibisBeautyPalace (www.youtube.com/user/BibisBeautyPalace) oder Sami Slimani  (https://www.YouTube.com/user/herrtutorial), denen es als lineare Fortschreibung der deutschen Frauenbewegung gelingt, die komplexen Probleme des Alltages auf die gesellschaftlich relevantesten Kernaussagen zu reduzieren. Die willkürlich herausgegriffenen Titel der charmanten Darbietungen von Frau Bianca Heinicke (1.87 Millionen Abonnenten) legen dafür ein audiovisuelles Zeugnis ab: Ich färbe meine Haare Pink, Meine Schminksammlung, 4 super Easy Frisuren, Die 5 schlimmsten Schminkpannen und all die anderen Listen, die im Sinne des Literarischen Quartetts zuverlässige Handlungsanweisungen für die mehrheitlich weibliche und ebenso oberflächliche Zielgruppe vermitteln: 10 Arten von Ex-Freunden, 10 Arten von Eltern, 10 Arten von Teenagern, 10 Arten Schluss zu machen, 10 Arten ein Date zu versauen. Die Inhalte beschreiben die offensichtlichen Interessensgebiete von Zielgruppe und Kanalbetreibern. Sie bieten neben Unterhaltung und Wertevermittlung auch die Verheißung des Gemeinsamen, ein Schauspektakel mit dem Versprechen auf Partizipation, reduziert auf Kommentare, Bewertungen und Abonnentenzahlen.

Der biographische Hintergrund der Darsteller ist vielfältig, ein leuchtendes Beispiel der erlebten Multikulti-Gesellschaft, in der kreative Akteure mit Migrantenhintergrund in den digitalen Medien die Möglichkeiten zur Teilhabe suchen, die ihnen innerhalb unserer Gesellschaft und in unserem Bildungssystem verweigert werden. Die fröhliche Diaspora, ein Wunschtraum jedes grünen Bildungswerkes, präsentiert sich dabei in erfrischender Art und Weise, mit oder ohne kyrillische Schriftzeichen, auf Serbokroatisch, Türkisch oder Arabisch.

Den Schminkelfen mit ihren Millionen von Videoaufrufen sind andere Kanäle entgegengestellt, die ebenso zuverlässig wie oberflächlich männliche Werte durch die ausführliche und oft stundenlange Präsentation von Computerspielen, durch das Spielen mit Werten, Normen und Humorverständnissen (Beispiel: Sexy Girl Masturbating in the Library, Prostitution Prank, Humor Duct Tape Challenge Prank, Ice Bucket Challenge) oder durch das Auspacken von Smartphones, Spielekonsolen oder anderen Statussymbolen eines merkantil aufgestellten Sozialsystems vermitteln – und damit die wahren Interessen ihrer mehrheitlich männlichen Zuschauer präzise vertreten.

Digitale Kameras sind in den letzten Jahren so weit im Preis gefallen, dass sie in manchen Computern und Smartphones direkt eingebaut werden. Vielmehr noch: Durch eine unmittelbare Wiedergabe des eigenen Bildschirms kann oftmals auf sie verzichtet werden. Auch dadurch lassen die mehrheitlich mit relativ geringem Produktionsaufwand hergestellten Werke die etablierten Marken und Firmen längst in den flüchtigen Staubwolken der Aufmerksamkeit zurück – nur wenige klassische Marken erhalten noch Trostpreise für die letzte Reihe. Firmen wie Electronic Arts oder Disney Deutschland sind beispielsweise weit abgeschlagen, aber im Gegensatz zur Konkurrenz immerhin noch statistisch erfassbar.

Der kommerziell verwertete Heldenmythos der YouTuber  demonstriert nicht nur die historische Kontinuität des Stars, sondern steht auch als visuelles Abbild für den von Paul Virilio analysierten rasenden Stillstand, in dem immer größere Reichweiten immer flüchtiger wahrgenommen werden. Für die Beschleunigung der Verwurstungsindustrie ist es hilfreich, dass mittlerweile auch die klassischen Massenmedien auf ihren Internetportalen die regelmäßige Frontberichterstattung über „Die besten Webvideos“ aufgenommen haben. Die zarten Millionen der frühen Vlogger sind globalem Memes mit mittlerweile Milliarden von Videoaufrufen gewichen.

Hintergrund

Die am Ende des letzten Jahrtausends verfügbare Internettechnologie erlaubte erstmals unbedarften Massen den Zutritt zum Internet – bei der Steigerung der Medienkompetenz nahm die intellektuelle Elite Deutschlands eine Führungsposition ein. Volksaufklärer wie Boris Becker mit seiner unfreiwillig bedürfnislosen AOL-Kampagne missionierten schon 1999 in deutschen Wohnzimmern (AOL. Boris Becker. Internet. Ich bin drin. AOL Internet Startpaket. AOL. Commercial. 1999. Available: www.youtube.com/watch?v=S7mGbRkUP7Q) Erst mit dem Aufkommen von Breitband (DSL/Kabel)-Technologien ein paar Jahre später waren jedoch die Voraussetzungen für ein ungestörtes Videoerlebnis geschaffen. Ein frühes, wenn auch unfreiwilliges Video-Phänomen war bereits die Numa Numa Darbietung von Gary Brolsma im Jahr 2004, in dem er das Lied Dragostea din tei von O-Zone auf Newgrounds, einer amerikanischen Unterhaltungs- und Social Mediaplattform präsentierte. Schon zur Geburtsstunde von YouTube  waren zumindest in Amerika die Verwertungsinteressen präsent: Lonelygirl15, ein fiktionaler Teenager namens Bree, begeisterte 2006 mit ihren öffentlich zelebrierten Gedanken Millionen, bevor die Los Angeles Times und die New York Times herausfanden, dass sich hinter lonelygirl15 in Wahrheit die damals 19jährige Schauspielerin Jessica Rose befand, deren Beiträge von der Creative Artists Agency  gesteuert wurden. Zu den frühen und bereits wieder dankbar im Schatten verschwundenen Stars aus Deutschland gehören zum Beispiel Lynne & Tessa, zwei junge Frauen aus Frankfurt, die gleichfalls 2006 mit ihren Lip Synching/Tanzdarstellungen ein weltweites Publikum begeisterten. Auch die Gruppe Grup Tekan aus Germersheim erreichte mit ihrem musikalischen Gesang Wo bist du, mein Sonnenlicht? im Jahr 2006 eine gewisse Bekanntheit. Vielleicht führten der Gesang und die geringe textuelle Schöpfungshöhe dazu, dass die Gruppe im Dezember 2006 in der Pro7-Sendung unter die ersten fünf Plätze der „100 nervigsten Deutschen 2006“ gewählt wurde. Auch Ted Williams,  den Obdachlosen mit der goldenen Stimme, führte seine anrührende Geschichte im Jahr 2011 über Nacht zu YouTube , zu Anstellung, Buchverträgen, Fernsehauftritten und Werbeangeboten, nur um genauso schnell wieder aus unserer Aufmerksamkeit zu verschwinden und ohne der prekären Existenz dauerhaft zu entkommen. Wenn diese Künstler den Maßstab bilden, wird klar, warum selbst dem YouTube  Hit Gangnam Style, einer Performance des südkoreanischen Rappers Psy, mit mehreren Milliarden Videoaufrufen, nur kurzer Ruhm beschieden ist. Die Darbietung war ein internationaler Erfolg, das Video wurde in das Guinness-Buch-der-Rekorde aufgenommen und erreichte bis dato mehrere Millionen Seitenaufrufe. In ihrem Ringen um Aufmerksamkeit und in ihrer Flüchtigkeit sind die Stars von gestern in unserem Wertesystem genauso relevant wie die Mode aus der letzten Saison, vielleicht benötigen wir nur etwas mehr Schopenhauersche Gelassenheit .

Supergeil/Edeka

Seit geraumer Zeit – und in den letzten Jahren (mit einiger Verspätung) in Deutschland – fällt auf, dass die vermeintlich individuellen Kanäle auch Stück für Stück erfolgreich in die Reihen der Verwertungsindustrie eingereiht werden. Musikkonzerne übernehmen beziehungsweise vermarkten die Präsenzen mehrerer Künstler, Einzeldarsteller oder e-Sportler. Diesen Vermarktungsplattformen – zum Beispiel Vevo (19 Kanäle in den Top 100 Most Subscribed, incl. Taylor Swift, Maroon5, Ellie Goulding, Sam Smith, Rihanna, Katy Perry, Eminem und Meghan Trainor), Maker Studios (14 Kanäle in den Top 100 Most Subscribed, incl. PewDiePie), Machinima (8 Kanäle in den Top 100 Most Subscribed, incl. VanossGaming) oder Collective Digital Studio, Fullscreen (6 Kanäle in den Top 100 Most Subscribed, incl. CDS’ Good Mythical Morning und Fullscreen’s PopularMMOs) gelingt es dabei, nicht unerhebliche Marktanteile in sich zu bündeln. Die Schwierigkeiten für deutschsprachige oder gar deutsche Inhalte verdeutlicht die Verteilung der Top 100 Kanäle auf ihre eingetragenen Herkunftsländer: Die USA dominieren im März 2015 mit 53 Kanälen, gefolgt von Großbritannien mit 12 Kanälen, Brasilien mit 8 Kanälen, Spanien mit 6 Kanälen, Canada und Irland mit 3 Kanälen und Chile, Russland und Schweden mit jeweils 2 Kanälen. Deutschland oder der deutschsprachige Raum sind in dieser Liste nicht vertreten – dies entspricht ihrer internationalen Wertschätzung.

Zu den Erfolgsfaktoren von YouTube gehören die niedrigschwelligen Darstellungsmöglichkeiten, die einfachen und intuitiven Oberflächen, das Interesse an gesellschaftlich oder individuell spannenden Inhalten ohne qualitative Auflagen, ausgefeilte, kostenlose und plattformübergreifende Technologien, die Möglichkeit, Inhalte zur Integration und damit auch zur Verbreitung auf anderen Webseiten freizugeben, sowie die unmittelbare und mittelbare Gewinnbeteiligung durch Werbeeinblendungen und soziale Interaktionen mit entsprechenden Zielgruppen.

YouTube befreit ein Massenpublikum vom Altar im Wohnzimmer und erlaubt die kostenlose Projektion auf mobilen Endgeräten. Dies ist für Zielgruppen, die nichts mehr mit den Götzendiensten der Wirtschaftswundergeneration anfangen können wesentlich, da diese ihre vielfältigen Inhalte auch mobil, im Unterricht, in der Vorlesung oder auf der Arbeit genießen – und miteinander erleben wollen. Im Gegensatz zu den vermeintlichen Massenmedien – die Massen haben sie in den jungen Generationen längst verloren – erlauben Plattformen wie YouTube eine Loslösung vom Rahmenprogramm, ein einfaches Suchen und Wiederfinden der eigenen Neigungen und Bedürfnisse – zu jeder Zeit, an irgendeinem Ort (mit entsprechendem Internetzugang). Weit entfernt von den geriatriereifen Zielgruppen des öffentlich-rechtlichen und ihren durch „Mainz wie es singt und lacht“ oder anderweitig rückständigen Volksnormsendungen der Geschmacksrichtungen Brot und Spiele erlauben im ausländischen Besitz befindliche Plattformen auch wesentlich mehr Freiheiten und bieten im beschwingt naiven Medienverständnis der Nutzer auch viel mehr Schutz bei Grenzverletzungen zum Ausloten gesellschaftlicher Moralvorstellungen.

Kanalbetreibern und Werbetreibenden bietet YouTube eine ganze Reihe unterschiedlicher Technologien zur Verwertung entsprechender Inhalte, einschließlich Mastheads, Video Ads, (TrueView) In-stream Ads, Standard Display Ads und In-video Overlay Ads. Vorteilhaft für Werbetreibende sind die feingranularen Einstellungen zur Zielgruppe anhand demographischer Eigenschaften und die Möglichkeit, die Zielgruppe auf verschiedenen Kanälen und Plattformen (PC, Tablet, Smartphone) zu erreichen, sowie die Fähigkeit, mit geeigneten Analytics-Werkzeugen unmittelbar eine Erfolgskontrolle vornehmen zu können – und gegebenenfalls die Werbestrategie anzupassen. Unterbrechbare Video Ads zählen für Google (In-stream und Video), wenn die Werbung länger als 30 Sekunden läuft oder vollständig laufen konnte.

So unmittelbar und vermeintlich objektiv wie die statistischen Erfassungen der Abonnenten und Videoaufrufe sind, so vage und intransparent ist die Plattform bei allen Informationen zur Gesamtheit der Besucher, zum Wachstum, zu den Rankingverfahren und zu den ausgeschütteten Werbegeldern und den entsprechenden Kennzahlen. Wesentliche Kennzahlen und Indikatoren basieren deshalb sowohl auf den wenigen von Google/YouTube zur Verfügung gestellten Informationen, aber auch auf Vermutungen und Schätzungen unabhängiger Parteien. Diese bescheinigen den Top-100-Kanälen auf YouTube eine Verdoppelung der Videoviews. Google bestätigt eine um 50% gewachsene Verweildauer auf der Plattform, und eine entsprechend gestiegene Ausschüttung an die Partnerkanäle.

Firmen können natürlich auch Werbefilme auf YouTube veröffentlichen. Entsprechende Untersuchungen bescheinigen gerade den erfolgreichen Marken deutlich gesteigerte Reichweiten (42 Prozent mehr Videoaufrufe pro Monat). Zusätzlich bietet die Plattform seit April 2010 Werbetreibenden die Möglichkeit zur Schaltung von Skippable Ads/Wegklickbaren Anzeigen, auch hier dokumentiert YouTube  eine um 45% gesteigerte Anzahl von Werbetreibenden, die das TrueView-Verfahren von YouTube  benutzen (YouTube. Old Spice, Red Bull, and Bears Oh My! A look back at the last five years of ads on YouTube. YouTube. Official Blog. April 8, 2015. Available:
youtube-global.blogspot.de/2015/04/old-spice-red-bull-and-bears-oh-my-look.html).

Eine Studie von AOL-Platforms bescheinigt den Einfluss von YouTube auf das Kaufverhalten ihrer kindlichen Zielgruppe. Die Analyse von 500 Millionen Klicks und 15 Millionen Konversationen im ersten Quartal 2014 macht klar, dass YouTube das effektivste soziale Medium  ist, um diesem  Teil der Bevölkerung neue Produkte vorzustellen und Kaufentscheidungen zu beeinflussen. Die kindlichen Akteure und ihre freundlich naive Zielgruppe schaffen auf YouTube ein geeignetes Umfeld,  um Werbeanzeigen in Kaufimpulse umzusetzen. Facebook nimmt den zweiten Platz ein, Google+ belegt den dritten Platz, gefolgt von Pinterest, LinkedIn, Tumblr und Twitter. Hand aufs Herz: Auf welchem anderen Medium können sich eigentlich Jugendliche und vermeintliche Jugendliche einer derart großen Zielgruppe präsentieren?

Werbetreibende

Für Werbetreibende ist die Plattform dennoch interessant, da sich mit ihr auch Zielgruppen erreichen lassen, die sich zunehmend anderen Werbekanälen entziehen, für die Online längst Leitmedium und Zustand zugleich geworden ist. Die vermeintlich kostenfreien Angebote können auch zur Verbreitung kommerzieller Verheißungen benutzt werden, das entsprechende Rahmenprogramm ist dabei in Hinblick auf Corporate Identity, Darstellung und Verlinkung anpassbar.

Das Erstellen von Werbung und anderen Inhalten ist auf YouTube  sehr unmittelbar und nutzerfreundlich gestalten. Im schlichtesten Fall genügt eine App und das Hochladen der Werbebotschaft mittels Smartphone. Spannende, lustige oder anderweitig besonders originelle Videos oder Werbungen können dann auch unmittelbar ihre Wirkung entfalten, von Nutzern geteilt und eingebunden, beziehungsweise analytisch ausgewertet werden. Die feingranularen Einstellungen, aber auch die begrenzten Möglichkeiten zur Interaktion und Teilhabe schaffen Daten und Beziehungen, die für Werbetreibende besonders wertvoll sind.

Werbefilme und andere Inhalte, die mit den entsprechenden Beschreibungen und Stichwortlisten in YouTube  erfasst sind, werden in Abhängigkeit von Nutzerinteressen und Nutzerbewertungen bei direkten Suchen, aber auch im Umfeld thematisch naheliegender Inhalte angezeigt. Eine automatische Analyse von YouTube-Inhalten (neben Close Captioning/Intellectual Property Fingerprinting) wird noch nicht eingesetzt, um Inhalte automatisch zu erfassen und zuzuordnen. Inhalte ohne Beschreibungen und Stichwortlisten sind deshalb nur schwer zugänglich.

Die Bereitstellung von Untertiteln und Transkripten erlaubt die Integration akustisch Benachteiligter und stellt weiteres Algorithmenfutter für die Einordnung des Videos – gern auch in verschiedenen Sprachen zur Verfügung. YouTube  erlaubt es weiterhin, Video-Kommentare einzufügen sowie Hotspots und Links zu integrieren, die im Video zu anderen Videos verweisen können oder in den Beschreibungstexten auf andere Inhalte verweisen – bis hin zur Gestaltung des eigenen YouTube-Kanals, der in Aussehen, Funktion und Farbe an das Corporate Design der Werbetreibenden zur Steigerung der Markenwirkung angepasst werden kann. Die Gruppierung von Videos in Playlisten und Kategorien erlaubt eine Gliederung und Vorselektion von Videos, die Nutzern eine Vertiefung mit den Inhalten ermöglicht, die aber auch in externe Webseiten integriert werden können.

Ein weiterer Vorteil von YouTube ist die Verfügbarkeit, die sich (theoretisch) weder von Landesgrenzen noch von Tageszeiten beeinflussen lässt. Die Werbebotschaften sind im Gegensatz zum Fernsehen rund um die Uhr verfügbar, können beliebig oft wiedergegeben und auf anderen Webseiten eingebunden werden und dienen auch deshalb Nutzern, einen initialen Eindruck über bestimmte Produkte und Dienstleistungen zu gewinnen. Oftmals werden entsprechende Werbebotschaften, Reviews oder Unboxing-Videos nicht von der Firma selbst, sondern von den entsprechenden Video-Darstellern übernommen, die von der Zielgruppe als authentisch wahrgenommen werden. Bei der Umgehung nationaler Regulierungen oder Programmbeschwerden beim Rundfunkrat ist der ausländische Standort von YouTube ohne Zweifel hilfreich, dies erhöht durchaus auch das Interesse bestimmter Zielgrippen.

Wichtig ist die Erkenntnis, dass es sich bei YouTube nicht um ein reines eindirektionales Werbemedium, sondern um ein soziales Netzwerk mit Teilnehmern und einer durch die Community geschaffenen Öffentlichkeit handelt. Dies bedingt durchaus eine kontinuierliche, abgeklärte und durchaus auch eine selbstironische und kritische Auseinandersetzung mit Kommentaren, Bewertungen und anderen Videos, die moderiert und gelöscht werden können. Gerade ein nachhaltiger und professioneller Umgang mit den Nutzern und der Plattform kann die Seriosität der Plattform unterstreichen. Dazu gehört selbstverständlich, die Kommunikation mit den Nutzern überhaupt zuzulassen, den Nutzern zu erlauben, Kommentare zu hinterlassen, auf diese einzugehen, sich auf eine Konversation einzulassen. Unabhängig vom jeweiligen Produkt können damit Kanalbetreiber Kundenbeziehungen aufbauen, die wesentlich für den Erfolg des Produktes oder der Dienstleistung sein können – wie die YouTube-Sternchen das tagtäglich demonstrieren.

Neben den klassischen Werbeansprachen können auch Blicke hinter die Kulissen, eine Vorstellung der entsprechenden Firma oder des Produktionsweges, eine Darstellung der angewendeten Sorgfalt und Auslese, ein Einblick in das Qualitätsmanagement, die Testabteilung oder auch den Kundendienst – einschließlich einer Vorstellung geeigneter Personen, der Firmenbotschaft ein sehr persönliches Antlitz verpassen. Firmen können damit das Versprechen auf Transparenz und Ehrlichkeit einlösen und Stück für Stück ein entsprechendes Image aufbauen.  Unter Umständen empfehlen sich auch Kooperationen mit anderen Kanalbetreibern, YouTube-Stars oder Event-Agenturen, um auch innerhalb der Plattform ein entsprechendes Unterstützernetzwerk aufzubauen.

Unschätzbar sind auch die von YouTube angebotenen Analysewerkzeuge, die auf Knopfdruck entsprechende Informationen und Statistiken über Videoaufrufe, populäre Inhalte, Demographie, Stichworte und Quelle der Videoaufrufe erstellen können. Mit diesen Werkzeugen und einem kontinuierlichen und nachhaltigen Ansatz kann YouTube zum effektiven Werkzeug werden, um den angestrebten Zielgruppen entsprechende Produkte oder Dienstleistungen anzubieten. Dafür spricht, dass es YouTube in den letzten Jahren im Vergleich zu anderen Plattformen wie Vine oder Facebook auch gelungen ist, eine gesunde Balance der unterschiedlichen Kanalbetreiber umzusetzen: Von den Top 100 Videos waren im Februar 2015 17% Markenvideos, 30 Prozent wurden von Medienunternehmen hochgeladen, 21 Prozent wurden durch sogenannte Influencer mit mehr als 250.000 Abonnenten bereitgestellt und die sogenannten Amateure stellten 32 Prozent her.

Zu den Klassikern der erfolgreichen Werbung auf YouTube zählt mit Sicherheit Blendtec, die ihre Will it Blend Werbekampagne seit Oktober 2006, auf YouTube präsentieren. Bei Blendtec handelte es sich um einen Hersteller von Küchenmixern, der ein initiales Werbebudget von 50 USD nutzte, um einige wenige Videos herzustellen, in denen Produkte des Alltäglichen (Rubik-Würfel, iPhones, Glühstäbe) vor den Augen des Zuschauers mit dem Küchenmixer fast bis in ihre atomaren Bestandteile zerlegt werden. Die Kampagne wurde zu einer der erfolgreichsten viralen Kampagnen im Internet, führte zu einer Steigerung der Verkaufszahlen auf 700%, wurde von unzähligen Presseberichten und Reportagen begleitet, schaffte der Marke Blendtec enorme Aufmerksamkeitswerte (die sich im androgynen Küchengerätestapel der Elektromärkte sicherlich auszahlen) und eröffnete neue Vermarktungschancen und Kooperationen. Insgesamt kann Blendtec auf über 250 Millionen Videoaufrufe und 790.000 Abonnenten verweisen. Das letzte Video entstand erst vor einigen Tagen und vermutlich ist es in der Lage, den Angehörigen der Apple-Gemeinschaft die Tränen in die Augen zu treiben: Der Mixer begrüßt dieses Mal die Apple Watch. (Blendtec. Will it Blend. Apple Watch. Blendtec. April 27, 2015. Available: www.youtube.com/watch?v=E8sxwK2pJI4)

Eine kreatives Spielen mit Plattform, Nutzern und unseren Cliches kann auch Old Spice für ihre 2010 gestartete The-Man-Your-Man-Could-Smell-Like-Werbekampagne bescheinigt werden, in der Old Spice nicht nur auf freundlich ironische Art die Verheißungen der Werbeindustrie auf die Schippe nimmt, sondern gleichzeitig mit weiteren, iterativ produzierten Werbeclips direkt auf Kommentare und Social-Media-Kanäle eingeht. Und somit zumindest für einen kurzen magischen Moment ein Aufleben eines Diskurses zwischen Marke, Nutzern und Social Media entstehen lässt. Einzelne Videoclips der Kampagne haben seitdem mehr als 50 Millionen Videoaufrufe akkumuliert. (Old Spice. The Man Your Man Could Smell Like. Old Spice. February 4, 2010. Available: www.youtube.com/watch?v=owGykVbfgUE)

Natürlich gibt es auch genügend Gegenbeispiele: Unzählige vermeintlich virale Kampagnen auserlesener Werbeagenturen, die im fahlen Licht der Monitore und Flachbildschirme noch ein trauriges Dasein fristen, oder aber auch Kampagnen, die von Externen entwickelt wurden, um durch den Angriff auf die Marke eine Änderung der Produkte und Dienstleistungen bestimmter Firmen zu forcieren. Zu den letzteren Beispielen gehört sicherlich die KitKat-Kampagne von Greenpeace, bei der Greenpeace einen überaus plastischen Videoclip benutzt, um auf die Rodung des indonesischen Urwaldes als Konsequenz der von Nestle für die Produktion von Kitkat benutzten Palmöls hinzuweisen (Greenpeace. KitKat Campaign. Stop Nestle buying Palm Oil. 2010. Available: www.youtube.com/watch?v=1BCA8dQfGi0). Mit einem Medienverständnis von vorgestern und ihrer unerschöpflichen Weisheit lies Nestle den Videoclip auch noch mit dem Verweis auf das Urheberrecht aus YouTube entfernen und sicherte damit erst recht die virale Verbreitung.

Ein weiteres sehr einprägsames Beispiel beschreibt die Erfahrungen des Musikers Dave Carroll, dessen wertvolle Taylor Gitarre auf einem Flug nach Nebraska von United Airlines in einen nicht mehr spielbaren Zustand versetzt wurde. Dave Carroll nutzte seine Fähigkeiten und die damals noch relativ junge Plattform YouTube, um sein Leiden und die sich daraus entwickelnden Kommunikationen mit United Airlines einer breiten Zuhörerschaft via YouTube zukommen zu lassen. Der Fall wurde zum Musterbeispiel diverser Business Schools. Er verdeutlicht das grundsätzliche Unvermögen klassischer Hierarchien flexibel auf strukturelle Herausforderungen zu reagieren. Das Musikvideo von Dave Carroll wurde seit dem fast 15 Millionen Mal aufgerufen. Als Ohrwurm setzt es sich bereits beim ersten Mal bei allen Zuhörern fest. Für das Markenimage von United Airlines ist dies ein Totalschaden, die gesamte PR-Strategie wurde ad absurdum geführt, die ganzen gesponsorten Kindergeburtstage, die vielen kleinen aufgeforsteten Grünflächen und all die lustigen Maßnahmen aus der Klamottenkiste der Konzernkommunikation: Alles für die Katz! (Dave Carroll. United Breaks Guitars. Sons of Maxwell. YouTube. Juli 6, 2009. Available: www.youtube.com/watch?v=5YGc4zOqozo)

YouTube und Gesellschaft

Die Plattform mit ihren mehr als einer Milliarde Nutzern ist durch ihre Popularität und Reichweite durchaus in der Lage, eine Veränderung des existierenden Interpretationsmonopols zu erwirken und durch die Zurverfügungstellung effektiver Technologien als soziales Korrelativ zu agieren. YouTube vermag dazu ein dezentrales Model der gesellschaftlichen Selbstüberwachung beizustellen oder gar zum Transparenzmedium zu werden.

Dokumentierte Ereignisse, Aufnahmen und Normverluste lassen sich sehr einfach auf der Plattform verfügbar machen und von dort entsprechend verteilen. Die Bandbreite derartiger Inhalte ist groß, eingeschlossen ist der wahrgenommene Rassismus in den Vereinigten Staaten, dabei kann das Dokumentieren von exzessiver staatlicher Gewalt und die entsprechende Zuordnung eine durchaus wirksame Gegenöffentlichkeit schaffen. Videoaufzeichnungen polizeilicher Gewalt beispielsweise – Aufzeichnungen des Bürgerkrieges einer bis auf die Zähne aufgerüsteten amerikanischen Polizei gegen die eigene Bevölkerung anderer Hautfarbe – führen zu nicht nur zu einer öffentlichen Diskussion, sondern auch zu enormen rechtlichen Risiken. Allein die Stadt Baltimore hat seit 2010 sechs Millionen USD an Entschädigungsgeldern an die Opfer von Polizeigewalt ausgezahlt.

Die Eignung von Plattformen wie YouTube, Videos unmittelbar weltweit verfügbar zu machen, demonstrierten diese auch bei der Publikation der heimlich aufgenommenen Hinrichtungsvideos des ehemaligen irakischen Präsidenten Saddam Hussein am 30. Dezember 2006, bei dem Beleidigungen und Erniedrigungen des Hinzurichtenden Zeugnis über die Unparteilichkeit und Objektivität des irakischen Rechtssystems ablegten. Gleiches gilt für die Aufnahmen der Gefangennahme des ehemaligen libyschen Präsidenten Muammar Gaddafi am 20 Oktober 2011. Videoaufnahmen dokumentierten dort Schläge und Verletzungen, die einen ebenso spontanen wie zufälligen Tod durch einen Kopfschuss im Kreuzfeuer – nach der Verhaftung – doch mit einem gewissen Zweifel versehen. Die durch einzelne Nutzer hochgeladenen Videos können bei der Dokumentation sozialer oder gesellschaftlicher Ereignisse durchaus eine ähnliche mediale Wirksamkeit erhalten wie die Bilder der geschundenen Körper in Auschwitz und Dachau.

Die ikonenhafte Wirkung derartiger audiovisueller Materialien zeigte sich auch beim Mordanschlag am Frankfurter Flughafen vom 2. März 2011, bei dem durch den Täter Arid Uka zwei amerikanische Soldaten verletzt, und zwei weitere schwer verletzt wurden. Der später zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilte Täter wurde am Tag davor durch ein jihadistisches Propagandavideo, in dem muslimische Frauen durch ausländische Soldaten vergewaltigt werden, zu dieser Tat aufgestachelt. Gerade die Vertreter der islamischen Radikalideologien nutzen die Macht der Bilder bei einer illiteraten Zielgruppe, um mit geeignetem Material eine Radikalisierung durch die Hintertür vorzunehmen. Gerade der Islamische Staat, aber auch viel früher die Videos des Juba Snipers im Irak, sprechen zunehmend sozial isolierte, nichtintegrierte Bevölkerungsschichten ohne berufliche und personelle Perspektive an.

Diesen Anteil der sozial relevanten Videos und Dokumentationen gibt es auch in Europa, vertreten durch russische Studentinnen, die für ihre Tanzdarbietungen zu Gefängnisstrafen verurteilt werden oder durch Videoaufnahmen von Demonstrationen In diesen Fällen gelingt es via YouTube, sich der Zensur der klassischen Wertesysteme zu entziehen.

Trotz garantierter Meinungsfreiheit sind jedoch auch in Deutschland zensurähnliche Maßnahmen zu verzeichnen. Dokumentiert durch die Restposten der Drei-Stufen-Regelung zum Schaden des deutschen Verbrauchers und Steuerzahlers, dem wesentliche Beiträge aus dem öffentlich-rechtlichen Fundus vorenthalten werden, aber auch durch die unmittelbare Sperrung von Videos auf YouTube: 61% der weltweit populärsten Inhalte werden in Deutschland mit dem Verweis auf das Copyright, der kleinen Schwester der Zensur, gesperrt.  Es ist beruhigend zu wissen, dass der Schutz unserer Jugend vor aufwiegelnden Inhalten in Deutschland stärker gewahrt wird als zum Beispiel vom Vatikan oder den Islamisten in Afghanistan oder im Süd-Sudan.

Die Zukunft von Videoplattformen wie YouTube sieht trotzdem rosig aus: Gerade junge Nutzer empfinden die Programmgestaltung des Rundfunks als Zumutung, wenden sich ab von Fernsehen, Videotheken und Kino (mit ihrem ohnehin beschränkten oder anderweitig eingegrenzten Inventar) und begrüßen frenetisch die digitalen Streamingangebote von Netflix, Amazon Prime, Zattoo, Wilmaa & Co. Content Providern/Video Produzenten, wenn es diesen gelingt, ein nachhaltiges Nutzererlebnis anzubieten, und erfolgreiche  Marken aufbauen.

Das Geschäftsmodell für YouTube Sternchen rechnet sich durch die Mischung unterschiedlicher Einkommensquellen: Google selbst gibt an, dass über eine Million Kanäle weltweit Einnahmen innerhalb des YouTube-Partnerprogramms erzielen, die Umsätze der Partnerkanäle stiegen zwischen 2013 und 2014 um mehr als 100 Prozent. Nach YouTube erreichen die Einnahmen für Tausende dieser Kanäle mehr als 100.000 USD. Zu diesen Einnahmen kommen Sponsoring und Buchverträge, der Aufbau von eigenen Markenlandschaften sowie Einnahmen aus Affiliate-Modellen, bei denen Kanalbetreiber externe Produkte und Dienstleistungen empfehlen und bei erfolgreichem Geschäftsabschluss einen Anteil (Affiliate Fee, meist unter 10 Prozent) erhalten.

Nur sehr wenige Akteure auf YouTube – insbesondere in Deutschland mit seiner begrenzten Zielgruppe – können sich allein durch die Einnahmen des YouTube Partnerprogrammes finanzieren. Als Geschäftsmodell ist das Partnerprogramm allein in etwa so spannend wie die Holztäfelung im Partykeller:  Selbst die sechsstelligen Einnahmen der YouTube-Stars auf USD-Basis relativieren sich nach Abzug von Versicherungen, Vorsorgeleistungen,  Abschreibungen und unter Berücksichtigung der Steuersätze sowie der Abzüge des Managements sehr schnell. Die Masse der Akteure kann ohnehin von diesen Zahlen nur träumen; die Kostenbilanz gestaltet sich für viele Darsteller in einem Handwerksberuf deutlich vorteilhafter.

Die Nachhaltigkeit des Geschäftsmodelles ist gleichfalls bedenkenswert: Bei kontinuierlich sinkenden CPC-Preisen (Kosten pro Klick, Preisangabe für Werbung) im Gesamtportfolio von Google und bei gleichzeitig steigendem Wettbewerb, bei einer ständig wachsenden Zahl der Konkurrenten sinken die möglichen erzielbaren Einnahmen. Der Markt ist außerdem sehr schnelllebig. Wie oben dargestellt, gelingt es nur wenigen Akteuren, eine nachhaltig wirksame Marke aufzubauen.

Der Großteil der Teilnehmer wird schlicht und einfach erwachsen und irgendwann kann auch der erfolgreichste YouTube-Star  die biologische Altersdifferenz zur Zielgruppe nicht mehr mit einer besonders kindgerechten Frisur überbrücken. Erschwerend kommt hinzu, dass es sich bei der Zielgruppe um eine durchaus medienaffine Zielgruppe handelt, die Werbung durchaus als Belästigung empfindet. Die eingesetzten Werbetechnologien werden oftmals als Einfallstor für Viren und Trojaner benutzt, eingesetzte PopUp-Fenster oder automatisch abspielende Videos sind schlichtweg unangenehm, sie verschleppen den Seitenaufbau teilweise dramatisch und verschlechtern somit das Nutzererlebnis, insbesondere wenn mehrere Tracker/Werbenetzwerke gleichzeitig eingesetzt werden. Die Werbetechnologien (Flash) dienen insbesondere zur Bespitzelung der Nutzer durch SuperCookies, und wie im obigen Selbstversuch nachgewiesen, liefern sie oft nur irrelevante Ergebnisse: Werbung für Produkte, die ohne Werbung am Markt gegenüber geeigneteren Produkten das Nachsehen haben. Die Reaktion vieler Nutzer ist deshalb eindeutig, sie installieren Werbeblocker wie das allseits geschätzte AdBlock Plus. Die Anzahl der Internet Nutzer, die entsprechende Software einsetzen, um Werbung und andere Spitzeltechnologien auszublende,n steigt ständig: Schon 50 Prozent aller Internetnutzer nutzen derartige Software, je höher die Mediennutzung (und vermutlich auch die Medienkompetenz beziehungsweise Schulbildung) umso höher der entsprechenden Anteil. Bei sogenannten PowerNutzern (rund 3 Stunden Internet pro Tag) steigt die Nutzung von Werbeblockern auf 80 Prozent. Übrig bleibt der digitale Bodensatz, dem, wie oben dargestellt, jedoch nur Schminkstifte und Computerspiele verkauft werden können.

Die sinkenden Margen verspüren auch viele YouTube-Akteure, sie sind deshalb gezwungen, alternative Finanzierungsquellen zu eröffnen. Dabei verschwimmt manchmal die Trennung von Werbung und Inhalten. Die Rückständigkeit der deutschen Medien- und Rundfunklandschaft und die systembedingten Verständnisschwierigkeiten auf politischer Entscheidungsebene, führen zu einer Grauzone, in der viele YouTube-Akteure verstärkt auf Schleichwerbung setzen. Kurze Hinweise auf Produktplatzierungen für  vegetarische Fleischersatzprodukte sind deshalb schon fast vorbildlich zu sehen. Jene Unbekümmertheit der jungen Akteure – ein Anrecht bei jedem technologischen Wandel – äußert sich auch in Werbespots für Neckermann Reisen oder Baumarkteröffnungen, die YouTube-Darsteller sind dabei oftmals an die Verträge ihres Managements gebunden.

Die Professionalität von Management und Akteuren wird zelebriert durch die öffentlichen Distanzierungen. Simon Unge (Simon Wiefels) (Ungespielt. https://www.YouTube.com/user/ungespielt/about  - 1,257 Millionen Abonnenten), einer der populärsten Akteure für die jugendlichen Zielgruppe, verwarf sich beispielsweise im Jahr 2014 öffentlich mit seinem Management Mediakraft Networks. Bezeichnend für den Disput war die Art und Weise der öffentlichen Kündigung auf YouTube selbst, ein spannendes gegenseitiges Verständnis von Vertragsinhalte und zugehörigen Pflichten sowie zu angeblichen Drohungen, Wiefels in die Privatinsolvenz zu treiben (Stern. Netzwerk Mediakraft kritisiert Simon Unge. Stern. December 21, 2014. Available: www.stern.de/digital/online/simon-unge-deutscher-youtube-star-stoppt-seine-erfolgreichen-kanaele-2161633.htm). Obwohl Wiefels YouTube verließ, ist es ihm mit diesem öffentlichen Schritt gelungen, fast die gesamten Abonnenten auf seinen neuen Kanal (Unge. www.youtube.com/user/unge/about - 1,171 Millionen Abonnenten)  einzuschwören.

YouTube selbst erlebt teilweise ähnliche Diskussionen, insbesondere bei der Anpassung oder Auswertung der Allgemeinen Geschäftsbedingungen. YouTube ist mittlerweile durchaus bestrebt, ein kooperatives Umfeld für Video- und Musikproduzenten sicherzustellen, damit die auf YouTube befindlichen Inhalte (im Gegensatz zur Diskussion mit der deutschen GEMA) nicht blockiert werden (müssen). Im Jahr 2014 ist es YouTube beispielsweise gelungen, praktisch alle Independent Music Labels zur Zustimmung für den geplanten kostenpflichtigen Streamingservice von YouTube zu gewinnen und ihnen durchaus vorteilhafte Vertragsbedingungen, in einem schwierigen  Marktumfeld einzuräumen.

Die Nutzung von YouTube scheint besonders effektiv für kindergerechte Zielgruppen aus den Bereichen Mode, Unterhaltung, Lifestyle und Elektronik zu sein. Eine genüssliche und auf jeden Fall sehenswerte Auseinandersetzung mit dem Geschäftsmodell von YouTube-Stars und dem Taschengeld 13-jähriger Mädchen auf der Suche nach einem Vorbild fürs Leben lieferte im Februar 2015 der Moderator Jan Böhmermann von Neo (Heidböhmer, Carsten. Böhmermann wirft YouTube -Stars Teenie-Abzocke vor. Stern. February 20, 2015. Available: www.stern.de/kultur/tv/neo-magazin-royale-jan-boehmermann-wirft-youtube-stars-teenie-abzocke-vor-2174919.html). In einem weiteren Interview mit zqnce zelebriert Herr Böhmermann auf YouTube  die Rolle des YouTube-Erklärers (zqnce. Unge & die YouTuber-Szene: Jan Böhmermann im Interview bei Visa Vie. YouTube . January 26, 2015. www.youtube.com/watch?v=fgevJ-mJZFs).

YouTube respektive Google stellt dabei sicher, dass die Spielregeln im Wettbewerb immer zugunsten von YouTube ausfallen – am Schluss gewinnt halt immer die Bank. Google hat dazu die relevanten Suchergebnisse von YouTube in die Standard Suche/Universal Search von Google integriert und garantiert damit YouTube eine gegenüber Wettbewerbern bevorzugte Position. Ähnliche Maßnahmen unternimmt Google auch in anderen Bereichen: Google zahlt Millionen USD an Mozilla, um sicherzustellen, dass die Google-Suche per default voreingestellt ist, und versucht sämtliche Hersteller von Smartphones basierend auf dem Android Betriebssystem dazu zu zwingen, durch das sogenannte Mobile Application Distribution Agreement sämtliche Google Apps (einschließlich YouTube) auch auf jedem einzelnen Endgerät zu installieren. YouTube kann im Gegensatz zu anderen Plattformen damit garantieren, dass YouTube tatsächlich auf praktisch allen Android-Geräten installiert und lauffähig ist.

YouTube unternimmt allerdings noch viel mehr, um den Erfolg dauerhaft sicherzustellen: YouTube eröffnete die sogenannten YouTube-Studios Los Angeles, Tokio, London, New York und Sao Paulo, in denen nach Aussage von YouTube mehr als 6.500 Videos mit einer Wiedergabezeit von mehr als 50 Millionen Stunden erstellt wurden. Sie flankieren erfolgreiche YouTube-Akteure durch entsprechende Kampagnen zur Marktwertsteigerung; sie unterstützen gerade erfolgreiche Kanäle auch finanziell – darunter 86 der populärsten Kanäle, von denen 25 mehr als eine Million Abonnenten haben, und die zusammen mehr als 750 Millionen Videoaufrufe pro Monat generieren (YouTube. Statistics. YouTube. Accessed: May 2015. Available: www.youtube.com/yt/press/en/statistics.html).

Auch für Kirche stellt sich die Frage nach dem generellen Umgang mit sozialen Netzwerken und Videoplattformen wie YouTube. Die Herausforderung besteht darin, das Potential und die Aufmerksamkeit der Zielgruppen von YouTube auf für die der Kirche naheliegenden Themen zu öffnen, sich dabei auch auf einen Diskurs einzulassen und doch im Widerspruch von Struktur und Netzwerk den Charakter der Kirche für die Gläubigen zu bewahren und gegebenenfalls zu reformieren.

Gerade bei hitzigen Debatten zur Kosteneffizienz beim Um- und Ausbau der Bischofsresidenzen oder bei den dringend notwendigen Diskussionen zu den Staatsleistungen an die Kirchen, aber auch gerade zu den Fragen des täglichen Lebens, jenem der Tagespolitik entzogenen Korrelativ von Werten und Normen, kann ein Zuhören der Kirche, ein Engagieren und Öffnen nur von Vorteil sein. Innerhalb sozialer Plattformen verliert nicht derjenige, der sich offen mit den Wünschen der Gläubigen auseinandersetzt und auch direkte Kritik in konstruktive Handlung umwandelt; es verliert derjenige, der am Diskurs – aus welchen Gründen auch immer – nicht teilnimmt.

Unabhängig vom Zustand der Inhalte und von den jeweiligen Zielgruppen der Plattformen bleibt festzuhalten, dass für Jesus die Auseinandersetzung mit der Plattform, mit ihren Nutzern, mit all ihren Sehnsüchten, kreativen Potentialen und Fehlern zur Kernaufgabe der Kirche gehören würde: Jesus wäre wahrscheinlich auf YouTube zu finden. Dazu gehört nicht zwangsweise ein zelebrierter Exhibitionismus zur Reichweitensteigerung, aber ein Versuch, sich vorsichtig, unter Beibehaltung der kirchlichen Werte, nach außen und innen als transparent darzustellen.

Die meiner Meinung nach größte Bedrohung wird von den Kirchen, wie wir sie kennen, noch gar nicht erkannt: Die weltweiten Konzerne des Digitalen operieren längst über Ländergrenzen hinaus, sie haben sich von nationaler Gesetzgebung, aber auch von nationalen Werten und Normen vollkommen gelöst. Sie vertreten zwangsweise expandierende Imperien, die nicht mehr durch geographische Begrenzungen von Rohstoffen und Lieferketten begrenzt sind – im Gegenteil: Der neue, digitale Katholizismus der Kirchen von Facebook, Google, Apple & Co. tritt mit einem Alleinvertretungsanspruch auf, der bedingungslose Unterwerfung in die Glaubens- und Datenmodelle der Konzerne erfordert, der mit seinen alljährlichen Ablasszahlungen (bei dem Vorstellen der nächsten Gerätegeneration) mehr Gläubige vor den Tempeln des Kommerzes verharren lässt als vor den Wallfahrtsorten, wie wir sie kennen, die mit quasi-monotheistischen Wertevorstellungen die weitere Expansion und Missionarstätigkeit garantieren wollen. Sie schaffen damit eine neue Kirche, eine Kirche der permanenten Verfügbarkeit und dennoch eine Kirche ohne Glauben.

Um jene Verbindung mit dem Digitalen Empire, der Inkarnation Gottes, zum Beispiel auf YouTube nicht zu verlieren, müssen Nutzer immer eine stabile Internetverbindung zur Serverarchitektur von Google dokumentieren. Ein Vorladen oder ein zeitversetztes Laden/Anschauen von Videos, ein Auszug aus dem Überwachungstheater, sind von Google nicht gewünscht und mit den Standardfunktionen von YouTube nicht möglich.

Eine Trennung von Internet konfrontiert den Nutzer mit einer Fehlermeldung oder einem schwarzen Bildschirm – und der Spiegelung des eigenen Gesichts.

 

nach obeN

     
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