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Titelstory von:
Peter Frey

 

 
   

 

Peter Frey wurde 1957 in Bingen am Rhein geboren. 1986 beendete er sein Studium der Politikwissenschaft, Pädagogik und Romanistik in Mainz und Madrid und schloss mit Promotion zum Dr. phil. ab. Neben seinem Studium ging er schon früh einer journalistischen Tätigkeit beim Südwestfunk (Hörfunk) und bei der "Frankfurter Rundschau" nach. Von 1985 bis 1988 arbeitete Peter Frey als Redakteur und Reporter beim ZDF-"heute-journal“. Von 1991 bis 1992 war Peter Frey als Korrespondent und stellvertretender Leiter im ZDF-Studio Washington im Einsatz. Er berichtete unter anderem über den Golfkrieg. Danach entwickelte er das neue Sendeformat „ZDF-Morgenmagazin“, das er sowohl leitete als auch moderierte.
Von 2001 bis 2010 leitete Peter Frey das ZDF-Hauptstadtstudio in Berlin. Er moderierte zahlreiche Sondersendungen über den Tod von Papst Johannes Paul II. und die Wahl von Papst Benedikt XVI. aus Rom (2005). Seit April 2010 ist Peter Frey Chefredakteur des ZDF.

 
   

 

 

 

 

 

 

Die Fragen der Zeit
Kirche und der massive öffentliche Druck / Von Peter Frey

Kirche muss sich kritischen Fragen stellen

Die Dimension der Religion verliert seit Jahren an Bedeutung in unserer Gesellschaft. Mehr als ein Drittel der Bevölkerung in der Bundesrepublik ist entweder konfessionslos oder nicht Mitglied in einer der beiden großen christlichen Kirchen. In vielen Großstädten sind heute die Angehörigen der traditionellen großen christlichen Glaubensgemeinschaften in der Minderheit, in Ostdeutschland sind drei Viertel der Bevölkerung konfessionslos. Seit Mitte der 1950er Jahre sinkt nach einer Studie des Instituts für Demoskopie Allensbach auch die Zahl der Kirchenbesucher in Deutschland. Zwei Drittel der Kirchenmitglieder gehen selten oder nie in die Kirche. Deutschland ist eine säkulare, multikulturelle Gesellschaft geworden.

Die Medien sind nur ein Spiegel dieser Entwicklung und diese zeigt – man mag das bedauern oder nicht – ein abnehmendes Interesse an Kirche und Religion. Verständlich also, dass es kirchliche Themen und Anliegen in den deutschen Medien schwerer haben. Es kann aber nicht die Aufgabe des Fernsehens sein, neues Vertrauen in die Kirchen aufzubauen und der Krise entgegenzusteuern. Das müssen die Verantwortlichen in den kirchlichen Leitungsebenen und die Gläubigen selbst tun.

Doch gerade bei den Vertretern der Amtskirche herrscht mitunter das Gefühl, die Medien gingen gerade mit der Kirche besonders kritisch um, wie zum Beispiel beim Missbrauchsskandal oder der Diskussion um den teuren Bischofssitz in Limburg. Das liegt meiner Ansicht nach vor allem daran, dass die Kirche überfällige Auseinandersetzungen mit gesellschaftlichen Entwicklungen in den vergangenen Jahren immer erst auf massiven öffentlichen Druck hin offen ausgetragen hat – wie anfänglich im Fall der Missbrauchsfälle. Am Ende war es nicht die Kirche, sondern eine aufgeklärte Gesellschaft mit ihren Medien, die – in Deutschland ausgelöst durch einen mutigen Jesuiten – teils jahrzehntealtes Leid aufdeckte und den „Moralproduzenten“ Kirche zur Selbsterkenntnis und Auseinandersetzung mit den Opfern zwang.

Ich meine: Überfällige Auseinandersetzungen mit gesellschaftlichen Entwicklungen darf die Kirche nicht erst auf massiven öffentlichen Druck hin offen austragen. Gerade in Zeiten, wo viele Menschen keine von Kindheit an gewachsene Beziehung zu Gott haben, muss sich die Kirche bemühen, die Wege zu ihm so breit wie möglich zu halten. Das Bild einer auf sich selbst bezogenen, den Fragen der Welt verschlossenen Kirche, schreckt ab. Deswegen muss sie sich, davon bin ich überzeugt, vor allem den kritischen Fragen stellen. Sie muss sich auch infrage stellen lassen, darf Diskussionen über Verfehlungen nicht unterdrücken. Es wäre der falsche Weg, sich Kritik schlicht zu entziehen, sich für so außergewöhnlich einzuschätzen, dass man auch der Welt draußen abspricht, sich in kirchliche Diskussionen einzumischen.

Transparenz ist zu einem Schlagwort in unserer Gesellschaft geworden. Diskussionen über Verfehlungen können nicht mehr einfach unterdrückt werden. Gesellschaftliche Akteure müssen sich den Fragen der Öffentlichkeit stellen, Auseinandersetzungen austragen. Niemand kann sich den Debatten mehr entziehen. Das erfordert gerade von der Amtskirche Verständnis gegenüber der Öffentlichkeit.
Die neuen Kommunikationsmittel haben direkten Einfluss auf beide Seiten der Berichterstattung. Wer in der Kritik steht, muss sich den neuen Kommunikationsbedürfnissen stellen. Die neuen Formen der gesellschaftlichen Verständigung machen einen transparenten Umgang mit Kritik nötig. Das mag anfangs ungewohnt und auch oft anstrengend sein. Es hilft aber auch all denen, die in der Kritik stehen, trägt zur Selbstvergewisserung bei und kann nicht zuletzt die eigene Glaubwürdigkeit vergrößern.

Gezeigt hat sich dies auch im Fall des Limburger Bischofs Franz-Peter Tebartz-van Elst und seines umstrittenen Neubaus des Bischofssitzes in Limburg. Die Kirche ist hier sicher nicht das Opfer einer Rufmordkampagne geworden, wie es Gerhard Müller, Präfekt der Glaubenskongregation in Rom, beschrieben hat. Die Kirche hat es versäumt, schnell zu reagieren, ihr Projekt zu erklären und richtiges Krisenmanagement zu betreiben, stattdessen wurde vertuscht. Dem Versuch des Bischofs und seiner Oberen, die Verantwortung abzuwälzen, auf das Domkapitel oder den Verwaltungsrat, hat der Glaubwürdigkeit noch mehr geschadet. In der Konsequenz haben die Schlagzeilen um die Bischofsresidenz von Limburg zu mehr Kirchenaustritten geführt als der Missbrauchsskandal.

So befürchte ich, dass die Kirche nach Jahrzehnten einer bis heute ungebremsten Austrittswelle, als Konsequenz einer nicht zu Ende gebrachten Modernisierungsdebatte, schließlich mit ihrer defensiven Antwort auf die Kritik nicht den Weg der Auseinandersetzung mit der Gesellschaft geht, sondern dass sie sich in sich selbst zurückzieht, in eine Art selbstgewähltes Ghetto. Das zu verhindern muss heute das wichtigste Ziel sein. Eine Wagenburg-Mentalität hilft hier nicht weiter. Stattdessen muss die Kirche Mut haben, Missstände auch in eigener Sache aufzuklären und Ihrer Rolle in der Gesellschaft gerecht zu werden.

Gerade Papst Franziskus macht mir an dieser Stelle Mut, dass Kirche diesen Weg gehen kann. Franziskus hat für seine öffentliche Kommunikation einen ganz eigenen Stil entwickelt – und das macht sicherlich einen Teil seines Erfolges aus. Er hat bewusst oder unbewusst durch starke Zeichenhandlungen binnen kurzer Zeit für jedermann auf gänzlich unintellektuelle, unakademische Art und Weise verständlich gemacht, wie er sein neues Amt versteht: dienend, menschlich, dialogisch. Er steht für mehr Regionalität und weniger Zentralismus, für mehr Kollegialität und weniger Entscheidungen von oben. Mag sein, dass er Erwartungen an überfällige theologische oder kirchliche Reformen nicht oder nicht schnell entgegenkommt. Dass er aber ein Mensch ist, der nicht entrückt leben will, der eine andere Kirche will, jedenfalls was ihren Auftritt in der Welt angeht, das hat sein erstes Amtsjahr unmissverständlich deutlich gemacht. Und mit diesem Stil ist er den Kommunikationsbedürfnissen einer vernetzt kommunizierenden Welt ein ganzes Stück näher gekommen.

Das Beispiel Franziskus zeigt, dass die Medien nicht immer alles aus einer negativen Perspektive sehen. Zu unserer Berichterstattung gehören auch viele positive Geschichten, Geschichten von Engagement und Gerechtigkeit, von der Verbesserung von Lebensbedingungen, von Versöhnung. Und das Publikumsinteresse an Ereignissen wie der Papstwahl im vergangenen Jahr oder der Heiligsprechung von Johannes Paul II  und Johannes XXIII Ende April ist im ZDF weiter sehr hoch und das trotz einer säkulareren Gesellschaft.

Vielleicht macht dies am Ende auch etwas Mut, dass Religion und Kirche auch in der modernen Gesellschaft weiter ihre Rolle haben werden. Sich nicht mehr auf Augenhöhe mit einer zugegebenermaßen komplexeren, sicher kritischen, zum Teil sogar feindlicheren Gesellschaft zu sehen – das wäre aus meiner Sicht der ganz falsche Weg. Die Gesellschaft braucht Kirche, gerade auch in der Debatte um Werte und Ethik, wie Franziskus gerade eindrucksvoll zeigt. Er hat den Begriff Barmherzigkeit wieder in die innerkirchliche Debatte um eigene Wertmaßstäbe eingeführt und mit seinem anrührenden Besuch auf Lampedusa die europäische Flüchtlingspolitik herausgefordert und verändert. Die Kirche kann also sich und andere bewegen. Im Dialog, mit Offenheit und Transparenz muss sie sich den Fragen der Zeit stellen und Zweifel, Fragen und Kritik zuzulassen. Das ist am Ende auch der Schlüssel für eine attraktivere Verkündigung kirchlich-christlicher Anliegen in den Medien.

 

 

 

 

nach obeN

     
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